Geistige Entwicklung kompakt
Intro:
Geistige Entwicklung kompakt
In kurzen, kompakten Beiträgen wird diesmal der Bereich „Geistige Entwicklung“ umfassend behandelt. Holger Schäfer konnte hierzu prominente Autorinnen und Autoren auf diesem Gebiet für die Zusammenarbeit gewinnen und begleitete über ein Jahr den Entstehungsprozess der vorliegenden Ausgabe Das Resultat lässt sich sehen!
Einleitend werfen Erhard Fischer und Holger Schäfer einen Blick auf die Grundlagen von Bildung und Erziehung im Förderbereich „Geistige Entwicklung“. Für sie geht es dabei, unabhängig vom Ort der Beschulung, um nichts anderes als um Bildung.
Holger Schäfer legt mit dem MehrPerspektivenSchema einen konkreten Entwurf zur Unterrichtsplanung und Schulentwicklung vor, welcher der heterogenen Schülerschaft gerecht wird. Hans-Jürgen Pitsch und Ingeborg Thümmel ordnen die pädagogische Arbeit mit kognitiv beeinträchtigen Schülerinnen und Schülern durch die Lernaufgaben zur Selbstwahrnehmung und Wahrnehmung von Welt, zur Kooperation und Interaktion, zur gegenständlichen Tätigkeit und zur Selbstbestimmung. Holger Schäfer und Konrad Bundschuh behandeln Fragen der Diagnostik sowie der Gutachtenerstellung und entwickeln eine Förderplanung, die auf Dialog basiert.
Im zweiten Teil stellt Georg Theunissen das Konzept der „Positiven Verhaltensunterstützung“ im Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten vor. Ursula Böing setzt nicht am Individuum und seinen vermeintlichen Defiziten an, sondern am Konstruktionscharakter von Behinderung und zeigt auf, dass „nach wie vor die Zuschreibung einer schweren Behinderung ein ausschlaggebender Faktor ist, um von Exklusion aus dem allgemeinen Schulsystem betroffen zu sein“.
Andrea Erdélyi und Ingeborg Thümmel plädieren für die notwendige Implementierung von Unterstützter Kommunikation in Schulen.
Christina Kießling, Tina Molnár-Gebert und Erhard Fischer beschäftigen sich mit Berufsorientierung und den didaktischen und organisatorischen Fragen des Übergangs Schule–Beruf und Karoline Klamp-Gretschel gibt Hinweise zur Gesundheitsförderung.
Es folgen Fragen der Fachdidaktik und Fachorientierung mit einem Grundlagenbeitrag von Oliver Musenberg. Darauf aufbauend zeigen Arno Koch und Nils Euker, dass viele dieser Schülerinnen und Schüler das Lesen im engeren Sinne, also die Alphabetschrift erlernen können. Und Steffen Siegemund geht anhand des Mathematikunterrichts der Frage nach, ob es qualitative Besonderheiten beim Lernen gibt oder diese Schülerinnen und Schüler nur langsamer, aber auf gleichem Wege lernen.
Den Themablock beschließen die Beiträge von Heiko Schuck zur Freizeitbildung, Reinhilde Stöppler zur Mobilität und Verkehrserziehung und Peter Zentel zur Medienbildung.
Wenn Sie die einzelnen Beiträge durchlesen, werden Sie, liebe Leserin und lieber Leser, bemerken, dass das Wording über die beschriebene Personengruppe verschieden ist. Sicherlich erschafft die Verwendung neuer Wörter nicht automatisch eine neue Wirklichkeit, aber wir sollten sehr sensibel mit unserer Sprache umgehen und die Vorschläge der betroffenen Personengruppe ernst nehmen. Es gibt genügend Beispiele, wie das Etikett „geistig behindert“ jemanden dauerhaft für dumm erklären kann und damit die gesellschaftliche Ausgrenzung praktisch unumkehrbar macht.
„Man mauert und schweigt“, so Steffen Arora in seinem Bericht über behinderte Heimopfer, denen im Namen der „Heil“-Pädagogik unvorstellbares Unheil widerfahren ist. Auch Erwin Riess findet nirgendwo ein Wort der Scham und des Eingeständnisses, wenn es um Gewalt und Missbrauch in der österreichischen Behindertenhilfe geht.
Unsere Zeitschrift hat schon vor Jahrzehnten darüber berichtet, immer wieder darauf aufmerksam gemacht, der spontane Aufschrei war teils laut, die praktischen Konsequenzen mickrig. Aber wir werden nicht müde werden, gegen jede Form der Unmenschlichkeit aufzutreten.
Leseproben:
Fitness auf vier Rädern
Das Fitnessstudio „Fitness4You“ in Ulmen (Eifel) ist Vorreiter bei der Inklusion. Zusammen mit dem ehemaligen Rollstuhlbasketballer Dirk Schmitz hat der Studiobesitzer und Personal Trainer Thomas Gessler ein sportliches Projekt ins Leben gerufen, das allen Rohstuhlfahrern Mut machen soll, in der Öffentlichkeit in einem Fitnessstudio zu trainieren.
Fachdidaktik und Fachunterricht aus der Perspektive des Förderschwerpunkts geistige Entwicklung – Lebenspraxis und Fachorientierung als (scheinbare) Opposition
Wenngleich in der „Pädagogik für Menschen mit geistiger Behinderung“ die gesamte Lebensspanne von den frühen Hilfen bis zur Altenbildung thematisiert wird, ist die schulpädagogische Perspektive eine nach wie vor dominierende Ausrichtung des Faches. Diese, mit der historischen Entwicklung der sonderpädagogischen Fachrichtung zusammenhängende Profilierung hat allerdings zunächst kaum dazu geführt, die schulpädagogischen und fachdidaktischen Diskurse aufzunehmen und für den Unterricht im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung (FgE) fruchtbar zu machen. Stattdessen wurden mit der Fokussierung lebenspraktischer Bildung (vgl. Musenberg/Riegert/Lamers 2014) wesentliche Erkenntnisse der Fachdidaktiken und Ansprüche des Fachunterrichts ausgeklammert und für lange Zeit auf Distanz gehalten (vgl. Schäfer 2017, S. 127ff.). Dieses geschah wohl auch aufgrund der Notwendigkeit, den (Schul-)Bildungsanspruch von Schülerinnen und Schülern mit geistiger Behinderung zunächst noch legitimieren und in diesem Zusammenhang in den 1950er Jahren die strukturellen, organisatorischen und administrativen Bedingungen der schulischen Versorgung etablieren zu müssen.
Arbeitskonzepte und Methoden – Versuch einer Ordnung für die pädagogische Arbeit mit kognitiv beeinträchtigten Schülern
Unterricht mit kognitiv beeinträchtigten Schülern richtet sich nach den jeweils gültigen Lehrplänen oder Richtlinien, die vordringlich Ziele und Inhalte des Lehrens und Lernens beschreiben und in schuleigenen Konzepten konkretisiert und modifiziert werden. Diese Inhalte sind vom Lehrer in kleine, unterrichtstaugliche Portionen zu zerlegen und die Schüler sollen an ihnen Kenntnisse, Fertigkeiten, Fähigkeiten, Einstellungen und Haltungen sowie Kompetenzen erwerben. Die konkrete Vermittlung der Lehrinhalte verlangt die Berücksichtigung der jeweiligen Ausgangslage der Schüler, den Fokus auf deren bevorzugte Lernweisen, geeignete Lernmittel (Medien) und schließlich auch zu diesen Bedingungen passende Methoden. Diese steuern das kurzfristige pädagogische Handeln; sie sind strukturierte Verhaltensvorschriften zur Lösung eines Problems und von geringerer zeitlicher Reichweite. „Methode“ und „Konzept“ sind die beiden Pole eines Kontinuums mit fließenden Übergängen und nur schwierig voneinander zu trennen, weshalb wir zusammenfassend von „Verfahren“ sprechen.
Bildung im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung
Die Schule mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung (SFgE), so die gängige Bezeichnung in den meisten deutschen Bundesländern, hat es sich zwar – wie aus der Bezeichnung hervorgeht – programmatisch zur Aufgabe gemacht, vor allem die geistige (kognitive) Entwicklung bei Kindern und Jugendlichen mit erheblichen und umfassenden Lerneinschränkungen und Beeinträchtigungen zu entwickeln, sie ist aber dennoch eine allgemeinbildende Schule. Und in solchen (wie auch im Unterricht im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung losgelöst vom Ort der Beschulung) geht es immer und vor allem und um nichts anderes als um Bildung (Fischer 2008).
Behinderte Heimopfer – die Geschichte wiederholt sich
Seit 2010 wird in Österreich der sogenannte Heimskandal aufgearbeitet. Tausende Kinder wurden in der Nachkriegszeit in staatlichen, kirchlichen sowie privaten Einrichtungen zu Opfern von Missbrauch und Misshandlungen. Auch Menschen mit Behinderung waren davon betroffen. Doch sie haben es besonders schwer, Ansprüche geltend zu machen, wie ein Fall aus Tirol zeigt.
Kloster Schwanberg oder Joseph III. auf Kur
Am Fuß der Koralpe, im Tal der Schwarzen Sulm, sitzt auf einem hohen Fels das Kloster Schwanberg über dem gleichnamigen Marktflecken, der sich touristisch der Vermarktung eines Hochmoors verschrieben hat. Der Dozent hatte seinen Freund Groll aber nicht des Moors wegen ins Schilcherland gelotst. Auch das Heilfasten war Herrn Grolls Sache nicht, seine Hoffnungen richteten sich auf die Bekanntschaft mit einem Sulmtaler Paradehuhn, goldgelb paniert, daneben sollte ein frischer Häuptelsalat seine Aufwartung machen, der mit einer Gallone Kernöl abgemischt sein müsste. Was an Öl übrig blieb, würde Herr Groll seinem Gefährten Joseph III. kredenzen, dessen Steckachsen Anzeichen von eklatantem Ölmangel aufwiesen. Eine ausgiebige Kernöl-Anwendung würde sie wieder stärken. Auf diese Weise würde Herr Groll drei Fliegen mit einer Klappe schlagen; Josephs Lauf würde beschleunigt, was wiederum Grolls Arme und Schultern entlasten würde und schließlich würde das Sulmtaler Backhuhn auch Herrn Grolls Gemüt auf Trab bringen.
Inhalt:
Artikel | |
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Bildung im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung
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Arbeitskonzepte und Methoden
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Diagnostik und Förderplanung
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Zum Umgang mit Verhaltensauffälligkeiten im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung
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Schule und Unterricht für Schüler mit zugewiesener schwerer und mehrfacher Behinderung
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Zur Notwendigkeit der Implementation von Unterstützter Kommunikation in Schulen
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Berufsorientierung im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung
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Gesundheitsförderung für Menschen mit geistiger Behinderung
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Fachdidaktik und Fachunterricht aus der Perspektive des Förderschwerpunkts geistige Entwicklung
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Deutsch im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung
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Mathematikunterricht für Schülerinnen und Schüler mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung
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Freizeitbildung im Förderschwerpunkt geistige Entwicklung
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Mobilitäts- und Verkehrsbildung
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Medienbildung und neue Medien
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Behinderte Heimopfer – die Geschichte wiederholt sich
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Geld ist teuer
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EU-Schwerpunkt auf Auflösung von Heimen
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Eindringliches Forderungspaket von Menschen mit Behinderung
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Barrierefrei reisen: Noch viel zu tun
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Kloster Schwanberg oder Joseph III. auf Kur
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Ein Abschied und ein Neubeginn
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Die Würde des Lebens
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Fitness auf vier Rädern
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