Körperdialog und Trauma
Intro:
Körperdialog und Trauma
Bilder beherrschen unsere Vorstellung vom Körper. Kaum jemand entgeht diesen Bildern. Diese „Körperphantome“ sind Formen der Sehnsucht nach echten Erfahrungen und Empfindungen. Indem wir den Körper fit halten, wollen wir diese Lust steigern. Wie tief diese Gefühle auch erlebt werden, sie könnten noch tiefer sein und sind deshalb nie tief genug. Kurzlebige Hoffnungen und wiederkehrende Rückschläge erhöhen den inneren Drang sowie die zwanghafte Ruhelosigkeit und häufen einen Berg subjektiver Enttäuschungen auf.
Aber es stimmt auch, den natürlichen, den nackten Körper hat es nie gegeben. Der Körper ist bis ins Innerste geprägt von symbolischen Ordnungen – der Leib hat eine Geschichte.
Aber was ist, wenn der bisherige Körper durch einen Unfall, durch eine Krankheit „verloren“ geht? Sebastian Ruppe schildert diesen Moment und seine Rückeroberung der Zukunft. Virginie Béjot zeigt eindrucksvolle Fotos über den Augenblick, als sie dachte: „Aber ich bin nicht dieser Körper“. Udo Sierck wehrt sich gegen den abwertenden und entwürdigenden Blick, den sein Körper auslöst. Es ist anstrengend, sich ständig damit auseinanderzusetzen und zehrt an der eigenen Identität.
Für Robert Gugutzer gibt es Körper nur im Plural. Der menschliche Körper ist durch und durch ein soziales Phänomen. Wir haben nicht nur einen Körper, wir sind und spüren auch unseren Leib. Der Beitrag von Sven Jennessen arbeitet die Verwobenheit zwischen differentem Körper und Trauma heraus.
Nach Jan Steffens und Dagmar Meyer werden traumatische Erlebnisse zwar verkörpert, aber können nicht mit den bisherigen Sinnstrukturen in Einklang gebracht werden. Allein findet jemand nicht mehr aus dieser Situation heraus, erst ein emotional gemeinsam geteilter Prozess kann neue Wege öffnen.
Der Mensch „verleibt“ sich in vorbegrifflichem Verstehen die Welt ein. Wie er im gemeinsamen Erleben der Organrhythmen eine Möglichkeit erhält, „seine“ Geschichte zu „erzählen“, zeigt Ursula Stinkes beeindruckend auf. In enger Kooperation mit dem Gegenüber legt Winfried Mall auch in schwierigen Situationen viele Kompetenzen frei, die bisher nicht für möglich gehalten wurden.
Riva Lehrer begleitet Sie mit ihren Kunstwerken durch das ganze Heft, sogar bis auf die letzte Umschlagseite. Hinter ihren Arbeiten stehen persönliche Geschichten, die von behinderten Vorkämpferinnen und Vorkämpfern erzählen, die Behinderung im 21. Jahrhundert neu definieren wollen.
Ferdinand Klein plädiert für die Würde der pädagogischen Praxis. Das Antlitz des Anderen ruft uns in die Verantwortung, oder wie es Peter Handke ausdrückt: „Das Haus der Kraft ist das Gesicht des Anderen“. Wir alle sind zwar eingebettet in soziale Strukturen, es ist aber immer der konkrete Mensch, der mir gegenüber ist.
Sie haben es bemerkt, wir haben unseren Titel weiterentwickelt: „Menschen. Zeitschrift für gemeinsames Leben, Lernen und Arbeiten“. Die hervorragende graphische Gestaltung unserer Art-Direktorin Eva-Maria Gugg soll die Vielstimmigkeit jedes Menschen symbolisieren. Der Punkt hinter dem Wort „Menschen“ ist eine Feststellung: Über das Menschenrecht und die Würde jedes Einzelnen gibt es keine Diskussion. Der Untertitel fordert die soziale Zugehörigkeit jedes Menschen ein.
Wenn wir das Adjektiv „behindert“ nicht mehr explizit im Titel führen, dann wissen wir sehr wohl, dass das Verschwinden von Wörtern die soziale Realität keineswegs automatisch verändert. Deshalb werden wir unsere Stimme weiterhin genauso laut erheben, wenn es um Gemeinsamkeiten von behinderten und nichtbehinderten Menschen geht und diese auch vehement einfordern.
Leseproben:
Die pädagogische Sorge um das Zuhause-Sein im eigenen Körper
„Anna ist sehr unruhig. Sie bewegt ihre Arme und ihre Augen von einer Seite zur anderen. Bevor ich meine Hand sanft und vorsichtig in Höhe ihres Zwerchfells auf ihren Bauch lege, sage ich: ‚Anna, ich lege meine Hand auf deinen Bauch. Wenn du das nicht magst, dann lege ich meine Hand sofort weg‘. Ich achte auf ihre Reaktionen und schließe selbst die Augen, versammle mich in mir und versuche, einfach jetzt hier zu sein, wo ich bin, sodass sich Stille in mir ausbreiten kann. Zunächst weint sie noch und ich sage: ‚Ja, du kannst ruhig weinen. Du hast alle Zeit dafür. Das ist ganz in Ordnung so.‘
Aber die Sonne mag mich – Vom Leben mit einer Querschnittlähmung
„Eine Sache ausdrücken heißt, ihre Kraft bewahren und ihr den Schrecken nehmen.“
(Fernando Pessoa, zitiert nach Pascal Mercier: „Nachtzug nach Lissabon“)
Wo alle Körper auserlesen sind
Es ist 2009, und ich bin in Philadelphia, um auf einer Konferenz einen Vortrag zu halten. Während einer langen Pause entscheide ich mich, das Mütter Museum zu besuchen. Ich unterrichte Anatomie, und das Museum besitzt eine Sammlung sogenannter medizinischer Kuriositäten. Ich betrachte die Wand voller Totenschädel, die Schaukästen voller Skelette, und dann gehe ich nach unten, wo mich konservierte Präparate erwarten.
Inhalt:
Artikel | |
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Aber die Sonne mag mich
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Der eigene Körper und der fremde Blick
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Welcher Körper?
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Der differente Körper im Kontext psychischer Traumatisierung
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Trauma, Verkörperung und Narrativ
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Die pädagogische Sorge um das Zuhause-Sein im eigenen Körper
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Wo alle Körper auserlesen sind
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Was ist Erfolg?
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Keine Wintersportwoche?
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Die Würde der pädagogischen Praxis
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„Das Haus der Kraft istdas Gesicht des Anderen“
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Außer mir
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Unsichtbare Schnitzeljagd
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„So einen Vater hätte ich auch gerne"
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Zwischen Dabeisein und Ausgeschlossensein
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Am Strand von Larnaca
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„Hinterm Herzen Sellerie"
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Gefängnis oder Flügel?
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Was kann denn der schon sagen ...?
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