Beziehung als Entwicklungsboden
Beziehung bereitet den festen Boden auf, der tragfähig ist für unsere Welterfahrung.
(Josef Fragner, Chefredakteur)
Intro:
Beziehung als Entwicklungsboden
Sie kennen das Gefühl. Es ist dunkel, plötzlich werden wir unsicher, ob der Boden unter unseren Füßen noch hält, ob wir nicht in die Leere treten, unsere Schritte stocken, wir bleiben stehen, erstarren und rühren uns nicht mehr vom Fleck. Erst eine begleitende Hand, eine vertrauensvolle Person, gibt uns wieder Zuversicht und Sicherheit. Das brauchen wir auch, wenn wir auf die Welt zugehen, also neugierig sein, lernen wollen. Eine entwicklungsfreundliche Beziehung bereitet den festen Boden auf, der tragfähig ist für unsere Welterfahrung.
Nicht nur seit Martin Buber wissen wir, dass Beziehung ein wechselseitiges Geschehen ist: „Der Mensch wird am Du zum Ich“. Dazu muss ich mich aber auf das Gegenüber einlassen, indem ich aufmerksam wahrnehme, ohne gleich zu urteilen, indem ich einfühlsam zu verstehen versuche und achtsam reagiere, um dem Gegenüber die Möglichkeit zu bieten, in einen gemeinsamen Resonanzraum einzutreten, der von Wertschätzung, Empathie und Echtheit geprägt ist, um die Grundlage für gegenseitige Entwicklungschancen zu schaffen.
In den Medien haben bei pädagogischen Fragen diejenigen das Sagen, die wirksam als „Experten“ auftreten und einfache Botschaften senden. Martin Spiewak entlarvt den düsteren Pessimismus pädagogischer Bestseller. Stephan Ellinger und Oliver Hechler plädieren für die Rückeroberung des zentralen Grundbegriffes „Erziehung“ in der Pädagogik und sie zeigen in einem grundlegenden Beitrag entwicklungspädagogische Grundlagen erzieherischen Sehens, Denkens und Handelns auf. Die differentialpädagogische Frage bei beeinträchtigten Lernprozessen lautet zuerst: Kann er nicht, weiß er nicht oder will er nicht?
Tragende Beziehungen einzugehen, ist uns aber nicht einfach in die Wiege gelegt. Diese Fähigkeiten müssen erarbeitet und geschult werden, damit sie als Teil der beruflichen Identität professionell zur Verfügung stehen. Ulrike Luxen listet die Grundelemente der „Entwicklungsfreundlichen Beziehung“ auf. Das Leitziel der „Entwicklungsfreundlichen Beziehung“ lässt sich am besten zusammenfassen als Integration der beiden menschlichen Grundbedürfnisse zur „Autonomie in sozialer Gebundenheit“.
Barbara Senckel entflechtet mithilfe der „Entwicklungsfreundlichen Diagnostik“ die Frage, ob bei Diana eine kognitive Einschränkung vorliegt oder ihr Entwicklungsrückstand in ihren schwierigen sozio-emotionalen Lebensbedingungen gründet. Gertraud Heigl zeigt auf, dass Beziehung in jedem Fall wirkt. Im besten Fall bewirkt sie Entwicklung, wobei auch die Bezugspersonen selbst von der professionellen Beziehungsarbeit profitieren. Monika Hirscher schildert den Beziehungsprozess mit Doris F. und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in einer Wohngruppe. Alle bauen auf den guten Tagen von Doris und ihrer Weiterentwicklung auf. Heinz Urbat zeigt, wie der Arbeitsprozess genutzt werden kann, um die Persönlichkeitsentwicklung zu unterstützen.
Sollten Sie unsere Zeitschrift schon länger lesen, dann kennen Sie ja schon viele Geschichten unseres selbsternannten „Freaks“ Franz-Joseph Huainigg. Ab diesem Heft lässt er Sie miterleben, wie er, ohne die Arme und Beine bewegen zu können, auf ein Beatmungsgerät angewiesen, mitten im Leben steht mit Unterstützung seiner Familie und seinen Assistentinnen und Assistenten. In einer zweiten Serie lässt Udo Sierck Behindertenbilder in der Kinder- und Jugendliteratur Revue passieren. Welche Botschaften, Klischees, Bilder wurden seit 120 Jahren vermittelt und welche Brüche und Kontinuitäten lassen sich bis in die Zeiten angestrebter Integration und Inklusion verfolgen? daherkommen.
Leseproben:
„… den Boden bereiten für eine gesunde Entwicklung“
Die „Entwicklungsfreundliche Beziehung nach Senckel / Luxen“® – eine mehrdimensionale Methode zur Persönlichkeitsentwicklung
Hüte, Hummus, Heiligtümer – Mit dem Rollstuhl durch Israel und Palästina
Kurz vor Ausbruch der Covid-19-Pandemie, als das Reisen noch möglich war, durchkreuzten meine Freundin und ich Israel und Palästina. Die Länder waren barrierefreier als ich gedacht hatte. So konnte ich die religiösen, konfliktbeladenen, kulturellen und kulinarischen Dimensionen der Region fast ungestört entdecken. Einige Situationen führten mich freilich an meine Grenzen.
„Ich zeig’ euch, wie es geht!“
Unser Freak steht mit seinen vier Rädern mitten im Leben. Er ist rund um die Uhr auf ein Beatmungsgerät angewiesen und kann weder Arme noch Beine bewegen. Das ist für ihn aber kein Hindernis, sondern eine Herausforderung. Mit der Unterstützung seiner Familie und zehn Assistentinnen und Assistenten führt er ein selbstbestimmtes Leben. In unserer neuen Serie „Freak-Assistenz-Geschichten“ gibt er ungewöhnliche Einblicke in sein Leben mit Persönlicher Assistenz und zeigt auf, wie ein Leben inmitten der Gesellschaft funktioniert, in dem Pflege zwar wichtig ist, aber nicht seinen Alltag bestimmt.
Inhalt:
Artikel | |
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Entwicklungspädagogische Grundlagen erzieherischen Sehens, Denkens und Handelns
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„… den Boden bereiten für eine gesunde Entwicklung“
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Diana – kognitive Einschränkung oder sozio-emotionale Entwicklungshemmung?
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Beziehung wirkt und bewirkt Entwicklung
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„De Doris tuat heite nit“
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Arbeit und Entwicklungsfreundliche Beziehungsgestaltung: (Wie) geht das?
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„Ich zeig’ euch, wie es geht!“
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Willi und das Leben
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„Deutschland verdummt“: Pathologischer Blick auf die Pädagogik
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„Dafür muss man nicht studiert haben (…)“
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Der Fluch der Schlangenkinder
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Hüte, Hummus, Heiligtümer
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Rhythmus und Erziehung
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Kein Reha-Aufenthalt für eine Mutter mit persönlicher Assistenz?
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Kunst schaffen – Kunst erleben – sich begegnen
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Das Geheimnis um Emil Ptak
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Literatur mit allen Sinnen erleben
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Von Bösewichten, Sorgenkindern und Alltagshelden
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Vom Glückserlebnis, „es weiter so zu können im neuen Leben“
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Kein Mitleidsbonus, einfach Literatur
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