Beschreibung

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Natascha Németh

Zwischen Evidenz und Willkür Herausforderungen von Eltern bei der Auswahl geeigneter Unterstützungsmethoden für das autistische Kind

Der vorliegende Artikel bietet einen Überblick über die Belastungen von Eltern autistischer Kinder und begründet die Notwendigkeit des Einsatzes eines umfassenden Bewertungskatalogs zur kritischen Analyse und Einschätzung komplementär- und alternativmedizinischer Verfahren.

Hintergrund

Mit einer Autismus-Diagnose gehen nicht nur für die autistische Person, sondern auch für das gesamte Umfeld, insbesondere die Familie, lebenslange Herausforderungen und Belastungen einher (Hume 2021, S. 4013; Tröster & Lange 2019, S. 15). Für Eltern autistischer Kinder ist es oftmals ein schwieriger und langer Prozess, geeignete Unterstützungs- bzw. Therapiemaßnahmen für ihr Kind auszuwählen und zu erhalten (Kamp-Becker & Bölte 2021, S. 73). Eine unzureichende Aufklärung über das Autismus-Spektrum sowie eine mangelnde Unterstützung bei der Verarbeitung der Diagnose in Verbindung mit langen Wartezeiten für Therapieplätze oder Förderprogramme (Lindly et al. 2018, S. 1804) können dazu führen, dass Eltern Hilfe durch sogenannte „Insider-Tipps“, wie beispielsweise Empfehlungen anderer in Anspruch nehmen wollen (Jungbauer & Meye 2008, S. 528-529). Bei der Suche nach Informationen wird in vielen Fällen auch populärwissenschaftliche Literatur herangezogen. In den einschlägigen Publikationen werden Verfahren zur Behandlung von Autismus vorgeschlagen, aber zum Teil auch Programme vorgestellt, die eine Heilung des Autismus versprechen. Das Spektrum der unterschiedlichen Interventionen ist vielfältig. Die angebotenen Verfahren reichen von konventionellen Therapien, über komplementäre und alternative Methoden bis hin zu experimentellen Behandlungen (Kamp-Becker & Bölte 2021, S. 73), wie zum Beispiel biologisch-basierte Verfahren in Form von Eliminationsdiäten (Rivera et al. 2014, S. 77-116), Nahrungsergänzungsmitteln (ebd. S. 300-312), Sauerstoff- und Überdrucktherapien sowie Schwermetallausleitungen (ebd. S. 314-353) und vieles mehr (Höfer et al. 2019a, S. 1868). Darunter befinden sich auch Methoden, deren Einsatz als potenziell gesundheitsgefährdend eingestuft wird. Dennoch finden sie Anwendung in der Behandlung autistischer Kinder (AWMF: Therapie 2021, S. 465).

Das Autismus-Spektrum

Hinsichtlich der Perspektive auf das Autismus-Spektrum bewegen sich die pädagogischen und medizinischen Professionen in einem Spannungsfeld (Seidel et al. 2021, S. 15). Einerseits ist Autismus als zu behandelnde neurologische Entwicklungsstörung konnotiert, andererseits wird Autismus als Form der neurologischen Diversität betrachtet (Lindmeier et al. 2023, S. 29). Laut der Selbstvertretungsorganisation Autistic Self Advocacy Network (ASAN 2024) handelt es sich beim Autismus-Spektrum um eine Behinderung (developmental disability), welche sich auf die Art und Weise auswirkt, wie Autist:innen die Welt erleben.  In sechs Punkten erklären sie, dass Menschen im Spektrum anders denken, ihre Sinne anders verarbeiten, sich anders bewegen, anders kommunizieren, anders interagieren, sich in sozialen Situationen anders verhalten und dass sie im täglichen Leben ein unterschiedliches Maß an Unterstützung benötigen. ASAN engagiert sich für eine Welt, in der alle Menschen im Autismus-Spektrum den gleichen Zugang, die gleichen Rechte und die gleichen Möglichkeiten wie nicht autistische Personen erhalten. Zudem sollen bei Inhalten, die die autistischen Personen betreffen, eine Mitbestimmung und Einbeziehung gewährleistet werden. Diesbezüglich gilt das Motto der Selbstvertretungsbewegungen behinderter Menschen: „Nichts über uns ohne uns!“

Belastungen von Eltern autistischer Kinder

In Bezug auf die Frage, inwiefern Familien auf eine (Autismus)-Diagnose ihres Kindes vorbereitet sein können, äußert sich Rezlaff wie folgt: “Eltern erreichen das ‚Land von Behinderung und Krankheit‘ ohne eine psychosoziale Landkarte dieser unvertrauten Region zu Verfügung zu haben“ (2016, S.182). Die Belastungen in Familien mit autistischen Kindern können durch eine Vielzahl unterschiedlicher Faktoren beeinflusst werden. Kurz nach der Diagnosestellung ihres Kindes berichten Eltern von Trauer und damit einhergehend von einem tiefen Verlustgefühl, welches sich auf den Verlust des bisherigen Bildes des eigenen Kindes bezieht (Fernández-Alcántara 2012, S. 321-322). Gleichzeitig fühlten sich einige Eltern für die Diagnose ihres Kindes verantwortlich und äußerten darüber hinaus Schuldgefühle gegenüber Geschwisterkindern. Diese resultierten aus der Befürchtung der Eltern, durch die hohe Betreuungsleistung des autistischen Kindes, den Bedürfnissen des Geschwisterkindes nicht entsprechen zu können und dadurch dessen Entwicklung zu hemmen.

In einer empirischen Studie von Tröster und Lange (2019, S. 15) wurde festgestellt, dass sich in der Erziehung und der Alltagsbewältigung von autistischen Kindern regelmäßig besondere Herausforderungen für die direkten Bezugspersonen ergeben. In einer anderen Untersuchung wurde nachgewiesen, dass das Belastungsempfinden der Eltern signifikant höher ist, wenn die Autismus-Symptomatik des Kindes deutlich ausgeprägt ist (Jungbauer und Meyer 2008, S. 522). Als besonders belastend wird die andere Art zu kommunizieren und sozial zu interagieren empfunden. Auch das fehlende Bewusstsein, Gefahren zu erkennen sowie die notwendige konstante Beaufsichtigung des Kindes wird als erheblich herausfordernd erlebt (Tröster & Lange, 2019, S. 16). Durch die hohe Beanspruchung der elterlichen Ressourcen werden das Risiko einer psychischen Instabilität und die Elternkompetenzen maßgeblich beeinflusst (Weishaupt et al. 2019, S. 7). Ein weiterer Faktor, der zum Belastungsempfinden beiträgt, ist der Mangel an Informationen bezüglich entsprechender Förderung und Unterstützung des autistischen Kindes sowie die Sorge über mögliche verpasste Therapiechancen (Jungbauer & Meye 2008, S. 526).

Therapien und Behandlungen in der Begleitung autistischer Kinder

Für die Begleitung, Förderung und Unterstützung von Menschen im Autismus-Spektrum stehen eine Vielzahl unterschiedlichster Methoden und Therapien zu Verfügung. Ein Großteil der Methoden sind speziell auf die Bedarfe autistischer Personen abgestimmt, um die individuellen Entwicklungsmöglichkeiten zu unterstützen und gleichzeitig die Bezugswelt (z. B. Familie, Geschwister usw.) mit in den Blick zu nehmen (Höfer2019, S.15). Dabei werden regelmäßig Methoden angewendet, die empirisch kaum abgesichert sind, dennoch laut Expert:innenmeinung wirksam sein können. Hierzu zählen beispielsweise die Ergo- und Musiktherapie sowie komplementäre Ansätze, wie die sensorische Integrationstherapie oder die tiergestützte Pädagogik (Eigner 2021, S. 116).  Darüber hinaus besteht international ein breites Angebot von alternativmedizinischen Ansätzen, „die eine vollständige Remission oder eine schnelle, massive Veränderung der Symptomatik versprechen [...]“ (Höfer 2019, S.16). Obwohl einige dieser Behandlungsverfahren gemäß der Empfehlungen zu wirksamen Therapieverfahren in der interdisziplinären S3-Leitline für Autismus-Spektrum-Störungen als ethisch bedenklich und zudem gesundheitsschädlich einzustufen sind, kommen sie bei autistischen Kindern immer wieder zur Anwendung (AWMF: Therapie 2021, S. 465). Beispiele für entsprechende zweifelhafte Praktiken sind spirituelles Heilen, Schwermetall- und Quecksilberausleitungen, Massagetechniken, Energiemedizin, hyperbare Sauerstofftherapie oder die hochdosierte Vergabe von Nahrungsergänzungsmitteln mit gleichzeitiger Eliminationsdiät (Höfer 2019a, S. 1868). Die Anbieter:innen dieser Methoden vermitteln den Eltern in der Regel Hoffnung auf eine Verbesserung der Kernsymptomatik oder versprechen sogar eine Heilung des Autismus (Sinzig, 2011, S. 114; Rivera, 2014, S. 33). Häufig werden diese Verfahren plakativ beworben und auch in fragwürdigen Elternforen diskutiert (Eigner 2021, S. 116). Ein Beispiel von Autismus-Behandlungen mit dem Ziel der Heilung veranschaulicht die in der nachfolgenden Abbildung dargestellte „Treppe zur Heilung“. Die Autor:innen stellen einen Ablauf von sechs Behandlungsphasen bis zur vollständigen Heilung des Autismus vor (Rivera et al. 2014, S.33). Dabei sind einige der enthaltenen Behandlungsschritte wie z.B. das Chlordioxid-Protokoll oder die Chelat-Therapie als äußerst kritisch und potenziell gesundheitsgefährdend einzustufen.

Geeignete Maßnahmen inmitten zahlreicher Optionen

Auf Grund der Heterogenität im Erscheinungsbild des Autismus sind nicht alle Interventionsansätze gleichermaßen sinnvoll und wirksam für die betreffende Person (Kamp-Becker & Bölte 2021, S.28). Eltern autistischer Kinder stehen vor der Problematik aus einer Vielzahl unterschiedlichster Therapieverfahren auswählen zu können, gleichzeitig jedoch wenige Aussagen über Effizienz oder Wirksamkeit zu erhalten (Heflin und Simpson, 1998, S. 194). Insbesondere kurz nach Erhalt der Diagnose berichten Eltern von der Überforderung, Entscheidungen über autismusspezifische Methoden treffen zu müssen, ohne über ausreichende Informationen zu verfügen (Edwards et al. 2018, S. 2122-2138).

Informationsvielfalt und Intuition

Wenn es um die Erziehung und die Pflege ihres Kindes geht, werden elterliche Entscheidungen von verschiedenen Faktoren beeinflusst. Dabei sind empirische Belege in der Regel nicht der einzige Aspekt, den Eltern berücksichtigen, wenn sie darüber entscheiden, welche methodischen Ansätze sie für ihr Kind in Anspruch nehmen wollen. Die Informationsbeschaffung im Fall der komplementär- und alternativmedizinischen Methoden erfolgt beispielsweise häufig über Empfehlungen von Fachpersonen vertrauter Institutionen, persönliche Erfahrungen, Empfehlungen aus dem sozialen Umfeld, Social-Media-Quellen, Websites und autismusbezogene (populärwissenschaftliche) Bücher (Miller et al. 2012, S. 88; Saral et al. 2022, S. 1).  Die Problematik bei Veröffentlichungen mit populärwissenschaftlichem Hintergrund besteht darin, dass diese nicht den strengen Prüfungen und Standards unterliegen, die für wissenschaftliche Publikationen von den entsprechenden Verlagen vorausgesetzt werden (Balzert et al. 2008, S. 79). Darüber hinaus stehen die fehlende Transparenz, unzureichende Quellenangaben sowie die Abweichung vom aktuellen Forschungsstand in der Kritik (Dettmann und Bense 2019, S. 46).

Bei der Entscheidungsfindung bezüglich einer Therapie oder der Begleitung ihrer Kinder verlassen sich Eltern nicht nur auf die zuvor dargestellten Informationswege, sondern auch auf ihre Intuition. Diese intuitive Herangehensweise impliziert, dass sie Entscheidungen spontan und aus dem Bauch heraus treffen, ohne sich ausschließlich auf theoretische Kenntnisse oder wissenschaftliche Studien zu stützen. Eltern sind bereit, unterschiedliche Methoden auszuprobieren, um auf diese Weise herauszufinden, welche Methode für das Kind am geeignetsten ist und die gewünschte Wirkung zeigt (Smith et al. 2020, S. 18).

Komplementär- und Alternativmedizin im Kontext von Autismus

Der Begriff Komplementär- und Alternativmedizin - bzw. die weitaus verbreitetere englische Bezeichnung Complementary and Alternative Medicine (CAM) - umfasst ein breites Spektrum von Therapien, Behandlungen, Interventionen und Methoden (WHO 2019). In der öffentlichen Wahrnehmung werden sie oft als sanft und nebenwirkungsfrei assoziiert und als besonders positiv hervorgehoben. Auch spielt die Überzeugung, dass entsprechende Verfahren als natürlich oder ganzheitlich und zum Teil fälschlicherweise als sicher eingestuft werden, eine entscheidende Rolle bei der Entscheidungsfindung und Anwendung (Köbberling 2022, S. 6-8). Zur besseren Übersicht teilten Höfer et al. die verschiedenen Verfahren in unterschiedliche Gruppen ein. Dabei wurde zwischen ganzheitlicher Medizin, Therapie- oder Praxissystemen, Mind-Body-Behandlungen, biologisch basierten Verfahren, manipulativen und körperorientierten Therapien sowie anderen CAM-Praktiken unterschieden; und die verschiedenen Verfahren wurden den entsprechenden Kategorien zugeordnet (2019a, S. 1868).

Die Anzahl der Hinweise über die CAM-Nutzung von Eltern autistischer Kinder hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen (Goin-Kochel et al. 2007, S. 198; Smith et al. 2020, S. 2). Eine Befragung, die sich auf in Deutschland lebende Teilnehmende mit einer Diagnose im Autismus-Spektrum konzentrierte, ermittelte Daten zur aktuellen Verwendung bzw. zur Bereitschaft, CAM ausprobieren zu wollen (Höfer et al., 2019a, S.1865- 1870). Im Ergebnis zeigte sich unter den  211 befragten Eltern autitischer Kinder und Jugendlichen, eine Inanspruchnahme von CAM (Lebenszeitprävalenz) von knapp 50 %. Darüber hinaus wurde festgestellt, dass mehr als die Hälfte der Kinder und Jugendlichen zwei oder mehr Behandlungen aus unterschiedlichen Kategorien nutzten, wobei die Häufigkeit der CAM-Anwendung bei jüngeren Kindern steigt. Begründet scheint die umfangreiche Nutzung von CAM in Vorbehalten gegenüber der Wirksamkeit konventioneller Methoden und in der Sorge um mögliche gesundheitliche Folgen bei Anwendung bestimmter Therapien (Lindly et al. 2018, S. 1804) . Darüber hinaus führen die fehlende Begleitung bei der Diagnoseverarbeitung, lange Wartezeiten auf Therapieplätze und die als unzureichend empfundene Wirkung konventioneller Behandlungen sowie die Uneinigkeit über die beste Behandlung viele Eltern dazu, Komplementär- und Alternativmedizin bei ihren Kindern anzuwenden (ebd. S. 1804;  Anbar et al. 2010, S. 817).

Bewertungskatalog als unterstützendes Werkzeug bei der Entscheidungsfindung

Die Erziehung und Alltagsbewältigung von Familien mit autistischen Kindern stellen die direkten Bezugspersonen vor besondere Herausforderungen. Sie erleben die andere Art der Kommunikation und der sozialen Interaktion sowie die Reaktion auf Umgebungsreize als besonders belastend (vgl. Jungbauer & Meye 2008, S. 522; Tröster & Lange 2019, S. 16). Erschwert wird die Situation häufig dadurch, dass das Wissen der Eltern über das Autismus-Spektrum und die damit verbundenen notwendigen Unterstützungsleistungen oder Fördermöglichkeiten oft nicht ausreichend vorhanden sind (Höfer 2019, S. 40). In dem Wunsch, ihrem Kind die bestmögliche und schnelle Unterstützung anbieten zu können, ziehen Eltern neben konventionellen Maßnahmen den Einsatz von CAM-Verfahren in Erwägung. Eine wesentliche Rolle spielt dabei mutmaßlich die Annahme, dass eine vermeintlich ganzheitliche CAM-Behandlung nebenwirkungsfrei bleibt und keine Schäden verursacht. Aber welche Methode kann als sicher angesehen werden und welche kann zu erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen? Mit diesen Fragen sehen sich die Eltern regelmäßig konfrontiert. Sie treffen ihre Entscheidungen nach bestem Wissen und Gewissen, jedoch häufig ohne die notwendige Fachkenntnis. Insofern wird regelmäßig eine fachliche Unterstützung bei der Entscheidungsfindung benötigt. Allerdings haben zahlreiche Eltern keinen kurzfristigen Zugang zu entsprechenden Beratungsangeboten bzw. zu einer professionellen Begleitung. Daher ist ein niedrigschwelliges Informationsangebot zu den möglichen Förderansätzen für das autistische Kind als Hilfestellung für eine bestmögliche Entscheidung der Eltern wünschenswert. Als geeignetes Werkzeug zur Bereitstellung der benötigten Informationen könnte ein Bewertungskatalog eingesetzt werden, über den Eltern in einem strukturierten Ablauf eine fundierte Einschätzung und kritische Beurteilung der gewählten Methode vornehmen können. Ausgehend von dieser Hypothese wurde im Rahmen einer Forschungsarbeit ein entsprechender Bewertungskatalog entwickelt. Dazu wurden auf Basis eines explorativen Forschungsdesigns Kriterien und Kategorien systematisch aus ausgewählter wissenschaftlicher und populärwissenschaftlicher Literatur abgeleitet, priorisiert und zusammengefasst. Eine exemplarisch durchgeführte Untersuchung eines entsprechenden Verfahrens anhand des entwickelten Katalogs konnte zeigen, dass eine Beurteilung von CAM-Verfahren anhand eines Bewertungskatalogs möglich ist und eine fundierte Aussage über die überprüfte Methode getroffen werden kann. Im Rahmen der Anwendung des Katalogs ist jedoch zu bedenken, dass die Beurteilung eines Verfahrens mittels einer Checkliste und der damit verbundenen Entscheidungsfindung möglicherweise nicht aussagekräftig genug ist. Zu den weiteren maßgeblichen Faktoren bei der Entscheidungsfindung zählen beispielsweise die mit den Verfahren verbundenen Hoffnungen und Erwartungen, die auch den Wunsch nach Heilung des Kindes umfassen können (Hanson et al. 2006, S. 643).

Auch für Angehörige des Gesundheitswesens sind vertiefte Kenntnisse über CAM-Verfahren von wesentlicher Bedeutung. In diesem Kontext kommt insbesondere der heilpädagogischen Frühförderung eine wichtige Rolle zu, da sie in der Regel beratend in das Familiensystem eingebunden ist und die Disziplin darstellt, die Eltern bereits bei dem Verdacht auf eine Diagnose im Autismus-Spektrum oder bei der Diagnoseverarbeitung ihres Kindes unterstützt und hinsichtlich der Entwicklungsbegleitung berät. Mit Hilfe des Bewertungskataloges kann ein offener Dialog über den Wunsch der Anwendung von CAM-Verfahren und die damit verbundenen Hoffnungen und Erwartungen geführt werden. Die Anwendung eines solchen Kataloges kann zu einem besseren Verständnis der unterschiedlichen CAM-Verfahren sowie zu mehr Sicherheit auf Seiten der Elternschaft autistischer Kinder beitragen. Durch Information und Aufklärung über entsprechende Verfahren und deren wissenschaftliche Evidenz kann eine realistische Erwartungshaltung seitens der Eltern autistischer Kinder gefördert werden. Eine heilpädagogische Begleitung sollte die Sorgen und Ängste der Eltern ernst nehmen, sie in wichtigen Entscheidungsprozessen unterstützen und sie dahingehend beraten, Autismus als natürliche neurologische Vielfalt zu betrachten. Diese Perspektive impliziert eine Abkehr von der Vorstellung, Autismus heilen oder therapieren zu wollen. Anstelle einer Behandlungsperspektive, die sich an den Defiziten orientiert, sollte eine Unterstützungsperspektive etabliert werden, die auf einer Förderung von Stärken und Ressourcen basiert (Theunissen & Sagrauske 2019, S. 94 - 116).

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Autorin:

NATASCHA NÉMETH ist Heilerziehungspflegerin, Heilpädagogin (BA),

ist Praxis- und Methodencoach im Autismus-Zentrums Hannover und in der GiB Hannover GmbH. Sie leitet den Weiterbildungskurs aut.IN-Kids Practitioner im Zentrum für Autismus-Kom­petenz Hannover (ZAK) und ist als externe Lehrbeauftragte an der Hochschule Hannover (Heilpädagogik) be­schäftigt.

Kontakt: nataschanemeth@gmx.de