Beschreibung

Stefan Wepil, Iya - Stadt Pescha, Pyramide der Shoijona, 2019 (Ausschnitt)

Foto: © Stefan Wepil
Markus Grottke, Jutta List-Ivankovic

Von der disability zur "this ability": Das Berufsbild der Heilpädagogik und der Handlungsauftrag an Bildungsinstitutionen im digitalen Zeitalter

Plädoyer für einen innovativen Ansatz, der Wertschätzung und Respekt für alle Menschen inkludiert und Teilhabe ermöglicht (23.2.2023)

1.    Einleitung 
Der Begriff Behinderung und die Arbeit mit Menschen mit Behinderung haben eine spezifische Geschichte und wurden von unterschiedlichen Disziplinen verschieden interpretiert (vgl. Bösl, Klein, Waldschmidt, 2010 und Mürner, Sierck, 2012). So unterscheiden wir heute eine Vielzahl von Begriffen von Behinderung, welche in unterschiedlichen geschichtlichen Epochen, in unterschiedlichen Kulturen und von verschiedenen Disziplinen geprägt wurden und als solche den Umgang mit Menschen mit Behinderung geprägt haben – mit all ihren Vor- und Nachteilen sowie ihren Auswirkungen. Selbstverständlich ist es Handlungsauftrag für die Profession der Heilpädagogik, aus der historischen Vielfalt möglichst adäquate, d.h. möglichst wenig nachteilhafte und möglichst viele Vorteile bewirkende Definitionen für die aktuelle Zeit herauszudestillieren. Hierbei wissen wir spätestens seit der Dissertation von Michel Foucault (2001) über Wahnsinn und Gesellschaft, dass unsere jeweilige Auffassung immer auch ein Ergebnis der aus übergeordneter Sicht durchaus kontingenten Denkstrukturen, Denkverbote und political correctness unserer Zeit ist. So zeigt genannter Autor anhand des Umgangs mit Menschen, welchen Wahnsinn diagnostiziert wurde, in historischer Analyse, dass unter Wahnsinn ganz Unterschiedliches verstanden wurde, mithin, die Aussage über den Wahnsinn eher einer Aussage über die Grenzen der jeweils historisch kontingenten Vernunft gleichkam. 
Der folgende Beitrag möchte aus der Projektion derart unterschiedlicher Verständnisse von Behinderung herausarbeiten, dass der Begriff der Behinderung, obwohl neutral angelegt, problematisch ist. So hat auch Simone Danz bei ihrer Analyse des Behinderungsbegriffs herausgearbeitet, dass der Begriff zwar eine Ordnungsfunktion hat, aber das eigentliche Problem die Erzeugung von Bedeutungen ist: 
„Genau genommen ist in Bezug auf den Behinderungsbegriff jedoch nicht die Kategorisierung das eigentliche Problem, sondern die negativen Konnotationen, die der Begriff beinhaltet.“ (Danz 2011, S.54). 
Trotz der Bemühungen um einen neutralen Begriff und trotz aller Ersetzungsversuche sind diese Bewertungen und Konnotationen vorhanden und wirken. 
Es stellt sich die Frage, welche Denkkategorien oder Haltungen gefunden oder entwickelt werden könnten, um die negativen Bewertungen umzuwandeln. Es braucht Begriffe und Denkkategorien, die menschenrechtlich fundiert, menschenfreundlich und bewertungsfrei sind und im Umgang mit Menschen positiv wirken (im Sinne von Empowerment, Respekt und Wertschätzung für Vielfalt). Wie also sind "inklusive Denkkategorien" von Behinderung anzulegen und wie können diese sich selbst dialektisch übersteigen, damit sie nicht zu historisch kontingenter Exklusion führen, sondern eben alle einbeziehen, dass sie Einordnung ermöglichen, aber Be- und Abwertungen pejorativer Natur radikal auflösen? Braucht es gar einen neuen Begriff für Inklusion oder wird diese dann selbst überflüssig? Denn Inklusion ist eigentlich nur dann notwendig, wenn Menschen vorher ausgestoßen oder ausgeschlossen wurden oder dies droht.
Es soll ebenfalls herausgearbeitet werden, welchen Beitrag die Profession der Heilpädagogik in diesem Feld leisten und welcher Handlungsauftrag an Bildungsinstitutionen im digitalen Zeitalter daraus hervorgehen kann. Herausgearbeitet wird dies in mehreren Dimensionen, in denen sich die folgenden Abschnitte des Beitrages entfalten. Zunächst wird der Geschichte des Begriffs „Behinderung“ nachgespürt. Gezeigt wird hier, dass es bislang nicht gelungen ist, einen diskriminierungsfreien, Individuen nicht reduzierenden, wertfreien Begriff von Menschen mit Behinderung zu formen. Gleichzeitig zeigt sich mit zunehmenden medizinischen Fähigkeiten, dass die Anzahl an identifizierten Behinderungen ansteigt, so dass zunehmend fast jeder Mensch sich im Laufe seines Lebens irgendwann als „mit Behinderung“ einstufen kann. Es könnte so betrachtet werden, dass sich jeder Mensch irgendwo auf einem Kontinuum zwischen Normalität und Behinderung befindet. Jede Abweichung von der Norm kann dann als Behinderung eingestuft werden. Demnach wird es fast „normal“ behindert zu sein (siehe dazu auch Waldschmidt 2003). Doch wie lässt sich „normal“ auf der einen und „behindert“ auf der anderen Seite definieren oder beschreiben? Und welche Bewertungen sind damit verbunden? Und ist dies überhaupt notwendig bzw. wofür könnte es erforderlich sein?
Auffällig ist, dass der Fokus in der Vergangenheit vor allem auf „Disability“ lag. Dies ist historisch nachvollziehbar, jedoch zeigt sich hier das Potenzial einer Weiterentwicklung in der heutigen Zeit. Ähnlich dem Modell der Pathogenese sollte ein Paradigmenwechsel erfolgen in Richtung eines Äquivalents zur Salutogenese (Antonovsky, 1997). Der Fokus richtet sich bei dem Modell der Salutogenese auf das Gesunde und darauf, wie selbst das auf den ersten Blick Kranke gesund gewendet werden kann. Übertragen auf den Kontext von Behinderungen und wie sie betrachtet werden können, stellen sich dann statt den Fragen nach den „Disabilities“, die Fragen nach den einzigartigen „Abilities“. Es wird nicht die Aussage getätigt: „Der kann dies oder das nicht!“, sondern gesagt: „Dieser Mensch kann DAS.“ Es geht auch nicht um „andersfähig-sein“ - denn hier ist die Betonung auf „anders sein“ enthalten - sondern im Fokus steht „auf diese Weise fähig und zugehörig zur Gemeinschaft sein“.
Der Beitrag entfaltet sich vor diesem Hintergrund wie folgt weiter. Zuerst wird der Begriff der Behinderung und die mit ihm verbundene Debatte über Kategorisierung und Dekategorisierung dieses Begriffs dargestellt, bevor eine kurze Skizze der historischen und kulturellen Variabilität dieses Begriffs aufgezeigt wird, welche in dem gerade erst Ende des Jahres 2022 aktualisierten Berufsbild der Heilpädagogik mündet. Vor diesem Hintergrund wird der Begriff der Behinderung in den Begriff der Teilhabe „aufgelöst“. Daraus ergeben sich neuartige Schlussfolgerungen für die Profession der Heilpädagogik, die gerade auch unter den Bedingungen der Digitalisierung ganz andere Möglichkeiten hat, aus dieser Auflösung heraus ihrem Handlungsauftrag nachzukommen. Ein Fazit rundet den Beitrag ab.

2.    Der Begriff Behinderung in einer historischen Zusammenschau und das aktuelle Berufsbild der Heilpädagogik
Für „Behinderung“ liegen mehrere Definitionen vor und ebenso wurden verschiedene Modelle von Behinderung im Laufe der Zeit entwickelt.  Maßgeblich ist heute die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK), das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen aus dem Jahr 2008. Hier heißt es im Artikel 1:

„Zweck dieses Übereinkommens ist es, den vollen und gleichberechtigten Genuss aller Menschenrechte und Grundfreiheiten durch alle Menschen mit Behinderungen zu fördern, zu schützen und zu gewährleisten und die Achtung der ihnen innewohnenden Würde zu fördern.
Zu den Menschen mit Behinderungen zählen Menschen, die langfristige körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, welche sie in Wechselwirkung mit verschiedenen Barrieren an der vollen, wirksamen und gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft hindern können.“ (UN-BRK 2008)

Hiermit werden auf internationaler Ebene Menschenrechte fundiert und Möglichkeiten für Teilhabe aller Menschen geschaffen. In Deutschland hat auf dieser Grundlage ebenfalls ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Dieser wurde insbesondere mit dem 9. Sozialgesetzbuch (SGB IX) und dem Behindertengleichstellungsgesetz (BGG) eingeleitet. 
Die UN-BRK lässt Raum für die Einstufung von „Behinderungen“ und erlaubt einen flexiblen Umgang mit der Schaffung von Möglichkeiten der Gestaltung von Teilhabe in der Gesellschaft.
Unabhängig von den Überlegungen und der Forderung nach einer neuen und wertfreien Denkkategorie für Menschen mit Ihren Eigenheiten, Besonderheiten, Stärken und Schwächen - ihren „Behinderungen“ bzw. ihrer persönlichen Form des Menschseins - findet sich bereits ein Diskurs rund um die Themen Kategorisierung und Dekategorisierung (siehe z. B. Musenberg, Riegert, Sansour, 2017; Grosche, Gottwald, Trescher 2020; Müller, Ratz, Stein, Lüke 2022). Es wird u.a. der Ansatz vertreten, dass eine Kategorisierung und Feststellung von Behinderungen auch notwendig sind, um beispielsweise Rechtsansprüche und Teilhabeunterstützung zu gewährleisten. Für die Ermittlung von Unterstützungsbedarfen sind Kategorien erforderlich. Ohne die Kategorie „Behinderung“ oder gar die Einstufung des Grades der Behinderung ist es schwierig, einen Unterstützungsbedarf zu ermitteln. Die Frage bleibt jedoch, welche Wirkung die Kategorisierung einer „Behinderung“ hat - sowohl für die Betroffenen als auch für die Helfenden sowie die Gesellschaft bzw. das soziale Miteinander. Hierbei müssen mehr Ebenen als nur die ökonomische und physische Versorgung bedacht werden. Vielmehr geht es auch um die soziale und psychische Wirkung von Kategorisierungen, Zuschreibungen und Bewertungen sowie damit verbundene Erwartungen.
Markus Dederich (2016) entwickelt die These, „dass pädagogische Konzeptionen, die der Komplexität, der im Kontext von Behinderung erfahrbaren Phänomene und Problemlagen gerecht werden wollen, eine begrifflich-kategoriale Fundierung benötigen“. Dederich leitet jedoch nicht ab, dass bisherige Kategorien beibehalten werden, sondern plädiert vielmehr auf der Grundlage von Adorno dafür „durch die Kategorie über die Kategorie hinauszugehen“, wobei er dies wie folgt definiert:

„Durch die Kategorie über die Kategorie hinauszugehen heißt dann, stets im Bewusstsein zu halten, dass das, was die Singularität des Menschen und seine unverbrüchliche Humanität ausmacht, gerade nicht in den Kategorien aufgeht.“ (Dederich, 2016, S. 205)

Dederichs Fazit ist, dass es gilt, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass jede Kategorie über sich in einen Bereich nicht einholbarer Differenz hinausweist. Er verdeutlicht, dass es nicht darum geht, Kategorien ersatzlos zu streichen. Es sei vielmehr erforderlich, einen kritischen, reflexiven und behutsamen Umgang mit Sprache zu pflegen. Dederich argumentiert nicht für eine Dekategorisierung, sondern dafür, die Kategorien stets im Hinblick auf ihre spezifische Bedeutung innerhalb ihres Verwendungskontextes zu reflektieren und ihre intendierten und latenten Effekte zu bedenken. Nach Dederich ist eine Verfeinerung und Differenzierung der Begrifflichkeiten wünschenswert und erforderlich (vgl. 2015, S. 204f). 
Eine Dekategorisierung könnte jedoch in manchen Bereichen auch Vorteile mit sich bringen und neue Potentiale ermöglichen. Hier stellt sich die Frage, wie eine Unterstützung trotz – oder sogar gerade durch eine Dekategorisierung erfolgen könnte. 
Andreas Hinz und Andreas Köpfer (2016) zeigen in einem Beitrag entlang von Beispielen inklusiver Schulentwicklungen Möglichkeiten auf, wie Dekategorisierung proaktiv zur Schaffung von Möglichkeitsräumen für die Unterstützung von Vielfalt beitragen kann. Beide Beiträge zusammen zeigen insofern, in welche Richtung Denkkategorien entwickelt werden könnten, nämlich einerseits ihre eigenen begrifflichen Defizite übersteigend angelegt und zugleich mit Fokus auf die Realisation von Möglichkeiten.
Historisch wie kulturell unterlag der Begriff der Behinderung einer Vielzahl an Auslegungen. Diese sind an anderer Stelle hinreichend ausgebreitet worden (vgl. z.B. Ellger-Rüttgardt, 2019; Hartwig 2020) und sollen darum an dieser Stelle nicht wiederholt werden. Für die hiesigen Zwecke reicht es aus, sich aus der Geschichte des Umgangs mit Menschen mit Behinderung einige Aspekte zu vergegenwärtigen, sozusagen Extremereignisse abzuschichten, welche die Grenzen dieses Begriffs zu markieren erlauben. So berichtet Ellger-Rüttgardt beispielsweise aus der Pariser Taubstummenanstalt des Abbé de l’Epée von erstaunlichen Erfolgen: „Die Kinder, die man bis dahin als Auswurf der Natur angesehen hatte, haben sich mehr ausgezeichnet und ihren Vätern und Müttern mehr Ehre gemacht als deren andere Kinder, die nicht imstande waren, gleiches zu leisten, und die darob erröteten…“ (S. 34). Es zeigt sich hierbei, dass „Behinderung“ tatsächlich nicht involviert, dass die entsprechenden Personen keinen Beitrag zur Gesellschaft leisten können, noch keine Teilhabe an ihr haben, sondern eher, dass diese Inselbegabungen gleichen, die von üblichen Mustern an Stärken und Schwächen unterschieden sind. Transkulturell sei jedoch dem entgegengesetzt auch auf das Beispiel des Umgangs mit Kindern mit Behinderung in russischen Waisenhäusern hingewiesen, welche dort human rights watch zufolge sehr häufig Gewalt, Vernachlässigung und Isolation erfahren (HRW 2014). Davon, dass diese Kinder sogar gegenüber nicht behinderten Kindern zu besseren Leistungen fähig sind, ist hier nichts zu hören.
Es sei auch auf das Beispiel des Gründers des Rauen Hauses in Hamburg, Johann Hinrich Wichern hingewiesen, welcher verhaltensauffällige Kinder nicht nur von der Straße, sondern auch aus bürgerlichen Kreisen aufnahm. Wicherns pädagogische Grundsätze basierten letzten auf Liebe, Freiheit und Gottesfurcht, aber auch auf der Sorge vor der alternativen Revolution, wenn die schwierigen sozialen Zustände seiner Zeit nicht einer Lösung zugeführt werden (Ellger-Rüttgardt, 2019). Dem sei final wieder die Pariser Taubstummenanstalt gegenübergestellt, wie sie sich nach Verstaatlichung entwickelte, nämlich zu einer auf Disziplin und Kontrolle basierenden Anstalt, welche zuvörderst die ökonomische Selbstversorgung der Insassen zum Ziel hatte, nicht aber deren Potentialentfaltung (vgl. Ellger-Rüttgart, 2019).
Auch aus Sicht der Disziplinen hat der Begriff der Behinderung unterschiedliche Entfaltung erfahren. Im medizinischen Sinne finden sich Behinderungen klar auf Basis naturwissenschaftlich-medizinischer und damit letztlich auch unveränderlicher Merkmale, in ICD-10, Kapitel V (Verhaltensauffälligkeiten) und Kapitel XVII (angeborene Fehlbildungen) klassifiziert (Biewer, 2017). Häufig hat gerade dies dazu geführt, dass Menschen medizinisch „aufgegeben“ wurden (vgl. z.B. das instruktive Beispiel hierzu bei Ellger-Rüttgart, 2019, S. 98).
Ein sich aus der interdisziplinären Auseinandersetzung mit Behinderung herausgebildeter Begriff setzt wiederum am Menschen als bio-psycho-sozialem Wesen an. Hierdurch werden zwei weitere Dimensionen erschlossen, denen zufolge sich der Zustand eines Menschen mit Behinderung verbessern lässt, nämlich auf psychologische oder aber auf soziale Weise. Allerdings ist auch die Psychologie, ebenso wie die Soziale Arbeit historisch immer auch zeitgebunden beschränkt gewesen.
Zuletzt wurde auch dieses Modell in seinen Grenzen immer mehr durch das menschenrechtliche Modell überstiegen, welches auch als Grundlage der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) dient. In der UN-BRK wird heute von einem dynamischen Verständnis von Behinderung ausgegangen, weshalb auch die Begriffsdefinition „Menschen mit Behinderung“ nicht als feste technische Definition verstanden wird. Zugleich steckt in diesem Modell auch eine unbedingte Anerkennung der Menschenwürde als einer Eigenschaft sui generis, welche über alle Formen des Menschseins hinaus ebenso gleichberechtigt diejenigen Formen erfasst, welche heute als behindert eingestuft werden. 
Es sei festgehalten: Das Begriffsverständnis von Behinderung ist in verschiedenen Disziplinen unterschiedlich – je nach Geschichte und Fachkultur wird „Behinderung“ anders und zeitgebunden definiert und gedeutet. Das Begriffsverständnis von Behin-derung ist aber auch über verschiedene Kulturen hinweg unterschiedlich, von Religi-on beeinflusst (oder nicht) und zuletzt auch von den Menschen abhängig, welche sich der Heilpädagogik widmen.  
Wird nunmehr allerdings dieses dynamische Verständnis der UN-BRK als dialektisch-aufhebend verstanden, dann ergibt sich in der Tat ein Verständnis von Behinderung, welches alle Teilverständnisse in sich inkludiert, also im wahrsten Sinne des Wortes „aufhebt“ im Sinne von bewahrt, aber auch aufhebt, im Sinne von weiterentwickelt und immer weiter ergänzt. Ist damit also alles gelöst? 
Tatsächlich wohl nicht, denn auch dieses Verständnis kann nicht das diesem Aufsatz als Ausgangspunkt dienende Problem adressieren, welches eben gerade ist, dass mit der Verwendung des Begriffes exkludierende Wirkungen ausgehen. Heutzutage wird beispielsweise zunehmend von "besonderen Kindern" oder "Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf", oder „Menschen mit besonderem Förderbedarf“ gesprochen, ein Indiz, dass seitens der handelnden Personen wahrgenommen wird, dass der Begriff Behinderung mit ungeeigneten Konnotationen belegt sein könnte.
Dieses Problem liegt wie sich auch hier zeigt nicht in der Verwendung des Begriffs der Behinderung, sondern in den Deutungen und Wirkungen, die häufig damit verbun-den sind. Christoph Egen und Christoph Gutenbrunner (2021, S.32) plädieren dafür, konzeptionelle Beschreibungen zu erarbeiten, die einerseits humanistischen Grunds-ätzen folgen und andererseits den spezifischen Zweck der Begriffsverwendung be-rücksichtigen und transparent formulieren.
Betrachtet man vor dem Hintergrund der historischen Zusammenschau das aktuelle Berufsbild der Heilpädagogik, so wird deutlich, wie sehr dieses bereits Erkenntnisse aus dieser Zusammenschau verarbeitet, weil hinter der diagnostizierten „Behinderung“ bewusst jederzeit auf die von der Behinderung unabhängige Menschenwürde und das Agieren auf Augenhöhe abgestellt wird und damit letztlich auf das Verständnis der UN-BRK abgestellt wird. Hierzu seien im Folgenden umfangreich Textpassagen aus dem Berufsbild angeführt, die dies verdeutlichen können: 

„[Es ist so, dass] Heilpädagogik in ihrer Grundhaltung die Würde des Menschen in den Mittelpunkt stellt, dem Menschen in seinem Personsein begegnet und faire und gerechte Lebensbedingungen und Teilhabechancen für alle Menschen einfordert und gestaltet, hat sie in den gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen ihren ureigenen, historisch begründeten und immer wieder aktuell zu definierenden Auftrag. (…)
Heilpädagoginnen und Heilpädagogen sind die zentrale Berufsgruppe, die ihre personalen und fachlichen Kompetenzen einbringt, um der Vielfalt und Unterschiedlichkeit ihrer Klientel, der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen, die unter erschwerten Bedingungen leben, gerecht zu werden und sie durch ein differenziertes und passgenaues Angebot personal-, situations- und familienbezogen mit Blick auf den Sozialraum in ihrer Entwicklung zu begleiten. Heilpädagoginnen und Heilpädagogen sind die wesentliche Berufsgruppe, die das Wissen, die Fertigkeiten und Kompetenzen mitbringt, um in der Gesellschaft und ihren Institutionen und Organisationen konsequent inklusive Strukturen, Kulturen und Praktiken zu entwickeln, zu entfalten und umzusetzen.“ (Berufsbild Heilpädagogik 2022, S. 5 und 6).

Hierbei betont das Berufsbild:

„Die Würde und der Wert eines Menschen dürfen sich nicht nach seiner Leistungsfähigkeit, seinem Nutzen für andere, seiner Gesundheit, seinem Alter oder Geschlecht bemessen. Die Heilpädagogik versteht sich dementsprechend auch als Menschenrechtsprofession und als Teilhabepädagogik. Die UN-BRK schreibt ein weitergehendes Diskriminierungsverbot fest. Es gilt bereits als Diskriminierung, wenn angemessene Vorkehrungen zur Teilhabe vorenthalten werden. Die Heilpädagogik hat deshalb auch die Bewusstseinsbildung Nichtbetroffener im Blick. Heilpädagoginnen und Heilpädagogen fordern eine umfassende Teilhabe und Chancengerechtigkeit von Menschen aller Altersgruppen, deren Möglichkeitsräume durch Benachteiligungen, Ausgrenzungen, Zuschreibungen und Zugangsbarrieren systematisch durch gesellschaftliche, politische, aber auch individuelle Prozesse eingegrenzt werden. (…) Die heilpädagogische Sicht auf den Menschen betont die unauflösliche Einheit von physischen, psychischen, emotionalen, sozialen und spirituellen Eigenschaften, die sich in jedem einzelnen Menschen auf individuell einzigartige und gleichwertige Weise und in Wechselbeziehungen mit den sozialen und ökologischen Umwelten konkretisieren.“ (Berufsbild Heilpädagogik 2022, S. 7).

Hieraus erwächst ihr ein spezifischer Handlungsauftrag, der wie folgt formuliert wird:

„Der Begriff „Heil“ in Heilpädagogik bezeichnet die volle und wirksame gesellschaftliche Teilhabe und Partizipation (Inklusion) und steht für die Idee eines gelingenden, guten Lebens. Heilpädagogik unterstützt bei Entdeckung und Entwicklung individueller Ressourcen und Begabungen (begleitende Unterstützung) und beinhaltet ein Offensein für individuell erlebte Sinnhaftigkeit und ihrer Verwirklichungsformen (Sinnerfüllung). Im Dreiklang von Teilhabe, Fähigkeiten und Sinn will Heilpädagogik Entwicklungsprozesse initiieren. Sie bringt die Personenperspektive, Kultur und Politik in Einklang. (…) Diese Entwicklung ist ein Prozess, der im Grunde ein spezifisch und eindeutig menschlicher ist. Insofern stehen alle Menschen vor derselben Herausforderung, nämlich Verantwortung zu übernehmen für die jeweilige Verwirklichung dieser drei Lebensaufgaben. In diesem Sinne versteht der BHP auch das Wort „Heil“ aus einer ganzheitlichen (holistischen) und umweltbezogenen (ökologischen) Tradition und positioniert sich eindeutig für den Begriff Heilpädagogik. (…) Komplexe Wechselwirkungen eines Behinderungsgeschehens werden nicht als grundsätzliche Barriere für Selbstbestimmung verstanden, sondern als Ausgangslage für individuelle Selbstbestimmungsmöglichkeiten. Neben erwachsenen Menschen mit angeborenen oder erworbenen komplexen Beeinträchtigungen haben auch Kinder und Jugendliche, die beispielsweise in Armut aufwachsen, sowie Heranwachsende mit Migrationshintergrund und Mädchen und Jungen mit behinderungsspezifischen Einschränkungen und Menschen mit psychischen oder demenziellen Erkrankungen ein erhöhtes Exklu-sionsrisiko.“ (Berufsbild Heilpädagogik 2022, S. 8).

und verweist darauf:

„Heilpädagogik unterstützt Menschen dabei, mit Ungewöhnlichem, Irritierendem, mit Fremdheit und Anderssein offen und respektvoll umzugehen und ein gleichberechtigtes Miteinander zu realisieren. (…) Heilpädagogik im umfassenden Sinne bedeutet Annahme jedes Menschen als Person und HandlungspartnerIn. Heilpädagogik resultiert hierbei aus einer Haltung, die sich in der Solidarität mit Benachteiligten ausdrückt. Solidarität findet dabei in Interaktionen statt und stiftet Beziehungen. Heilpädagogik findet ihre Aufgabe zu einer dialogischen – auf Augenhöhe ausgerichteten – Beziehungsgestaltung (M. Buber, 1962). Diese professionelle Beziehungsgestaltung ist nichts Abstraktes, sondern etwas, das sich zwischen Menschen ereignet – aber gleichermaßen wirkt Solidarität auch politisch.“ (Berufsbild Heilpädagogik 2022, S. 9).

Weiter wird im Berufsbild formuliert, wie die Handlungen von Heilpädagoginnen und Heilpädagogen in der Gesellschaft wirken können:

„Heilpädagoginnen und Heilpädagogen engagieren sich für eine und in einer Gesellschaft, in der Unterschiedlichkeit und Vielfalt Raum haben. Die zentralen, handlungsleitenden Prinzipien der Heilpädagogik sind deshalb darauf gerichtet, zusammen mit und für Menschen, die heilpädagogische Dienstleistungen in Anspruch nehmen, Folgendes zu realisieren: 
» konsequente Partizipation in allen gesellschaftlichen sowie politischen Kontexten; 
» individuelle Selbstbestimmung im Spannungsfeld von Freiheit, Fürsorge und Verantwortungsübernahme; 
» Befähigung und (Selbst-)Ermächtigung der Betroffenen (Empowerment); 
» die konsequente Orientierung der Lern-, Bildungs- und Assistenzprozesse etc. an den Menschenrechten; 
» zur Geltendmachung bestehender Rechte gegebenenfalls Übernahme einer Stellvertretung und Assistenz sowie 
» Stärkung der Solidarität und Menschenrechtsbildung in der Gesellschaft.“ (Berufsbild Heilpädagogik 2022, S. 10). 
„Heilpädagogisches Handeln orientiert sich am bio-psycho-sozialen Modell und richtet den Fokus auf die leistungsberechtigte Person und ihr Umfeld. Entscheidend ist hierbei ein erweitertes Verständnis von Behinderung, das nicht die Beeinträchtigung des Menschen, sondern die Wechselwirkungen mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren in den Mittelpunkt der Betrachtungen stellt. Heilpädagogische Professionalität umfasst, Beeinträchtigungen und daraus resultierende, mitunter komplexe, Behinderungsgeschehen als Lebens¬realität anzuerkennen und gemeinsam nach Möglichkeiten gelingender Lebensgestaltung zu suchen. 
Danach sind Begriffe wie beispielsweise „Behinderung“ und „Verhaltensauffälligkeiten“ Zuschreibungen. Sie sind keine Eigenschaft von Personen, sondern das Ergebnis einer komplexen Wechselwirkung zwischen personenbezogenen Faktoren und Umweltfaktoren. „Behinderung“ oder „Verhaltensauffälligkeiten“ sind begriffliche Bezeichnungen für ein beeinträchtigtes Verhältnis zwischen der als „behindert“ oder „auffällig“ bezeichneten Person und ihrer sozialen und räumlichen Umwelt. Behinderung ist nach Kobi also stets relativ und relational. Eine objektive Tatsache „Behinderung“ gibt es infolgedessen nicht.
Was im Einzelfall als Behinderung gilt, ist also eine pragmatisch-rechtliche Bestimmung mit dem Zweck, benachteiligten Menschen die notwendigen Hilfen zukommen zu lassen. Dieses Etikettierungs-Ressourcen-Dilemma bleibt auch in der aktuellen Sozialgesetzgebung erhalten und stellt die Heilpädagoginnen und Heilpädagogen vor eine ambivalente Situation: Nur wer als „behindert“ oder „von Behinderung bedroht“ etikettiert wird, hat möglicherweise einen Rechtsanspruch auf Unterstützung und damit Zugriff auf finanzielle, materielle und personelle Ressourcen. Eine sozialpolitisch ausgerichtete und der Inklusion verpflichtete Heilpädagogik begründet und verfolgt perspektivisch als Grundlage für Leistungsbewilligungen Settings und pädagogische Prozesse, die ohne die Etikettierung von Personen auskommen. Wesentliche Bestandteile heilpädagogischen Handelns sind Diagnostik, Indikation, Umsetzung und Evaluation von Konzepten und Methoden der Erziehung, Bildung, Beratung, Begleitung und Assistenz, die auch behindernden Faktoren präventiv entgegenwirken sollen.“ (Berufsbild Heilpädagogik 2022, S. 13-14).

Interessant an den Ausführungen ist, dass deutlich wird, wie der Begriff der Behinderung mitnichten reduktiv genutzt werden soll, aber gleichzeitig spezifische staatliche Förderungen an diesen Begriff gebunden werden, mithin die Etikettierung notwendig wird, um staatliche Unterstützung zu erhalten. Es wird auch deutlich, wie sich die Profession im Berufsbild darum bemüht, zu verdeutlichen, dass es gleichzeitig darum geht, zu den aktuellen Wertmaßstäben einer Gesellschaft kritische Distanz zu wahren und an ihnen nicht das Scheitern heilpädagogischen Handelns festzumachen, um einer Hypostasierung des Menschen mit Behinderung als eines Objekts eigener ideologischer Vorstellungen zu entgehen. Wie aber könnte dies aussehen, wenn zugleich die ökonomischen Reproduktionsbedingungen sichergestellt werden müssen? 
Im Kontext der Professionalisierung der Heilpädagogik sei an dieser Stelle noch auf die Arbeit von Michaela Menth hingewiesen (Menth 2022). In ihrer Arbeit zeigt sie berufspolitische Impulse auf für die Vielfältigkeit der Heilpädagogik und verdeutlicht das Spektrum von Disziplin und Profession als Ermöglichungsgrund heilpädagogischer Haltungen. 

3.    Die „Auflösung“ des Begriffs Behinderung in die Denkkategorie der Teilhabe durch die Nutzung der Potentiale der Digitalisierung
Deutlich wird an den vorherigen Ausführungen mehreres. Erstens wurde deutlich, dass was als Behinderung bezeichnet wurde und wird, jeweils historisch kontingent war und bleibt und auch immer reduktiv ausfällt. So zeigt der Spiegel der Zeit, wie derjenige von Transkulturalität und Transdisziplinarität, dass, was heute als Behinderung abgewertet wurde oder auch immer noch wird, ggf. zu anderen Zeiten, an anderen Orten, innerhalb anderer Kulturen nicht der Rede wert war. Die Nutzung von Begriffen und damit verbundenen Bewertungen mögen auch damit zu tun haben, welche Werte eine Gesellschaft als Ganzes bzw. eine bestimmte Disziplin oder Kultur jeweils unterschiedlichen Tätigkeiten ihrer Mitglieder zumisst. In unserer Gesellschaft liegt der Fokus deutlich auf der „Leistungsfähigkeit“ nach bestimmten Kriterien. Anzumerken ist hier außerdem, dass der medizinisch anerkannte Kanon von Behinderungen im Zeitablauf stetig gewachsen ist. Mit zunehmender Erkenntnis konnte mehr diagnostiziert werden. Es ist die Prognose zu wagen, dass vom Ende her gedacht, jeder Mensch als „behindert“, weil in irgend einer Art und Weise „disabled“ bezeichnet werden kann und dass gerade Inselbegabungen, welche in bestimmten Teilbereichen herausragende Leistungen zu erbringen fähig sind, in anderen Bereichen hochdefizitär sind. In der Zusammenschau jedoch erscheint es als willkürlich, welche Diagnose dann von einer Gesellschaft jeweils als „Behinderung“ gewertet wird. Sie scheint mehr damit zu tun zu haben, was gerade in einer Gesellschaft oder einem Milieu als Mehrheitsmeinung gilt, denn tatsächlich diskriminierendes Fundament zu besitzen. Wäre es also nicht besser, schlichtweg die Diagnose von dem generellen abwertenden Begriff getrennt zu lassen und von allgemeinen und besonderen Formen der Teilhabe zu sprechen? 
Genau dies würde ein völlig neuartiges Verständnis nahelegen, welches keine „disabilities“ mehr kennt, sondern nur noch kontext- und personengebundene „this abilities“! Regulative Leitidee ist hierbei, dass jeder Mensch in seiner Einzigartigkeit auch eine einzigartige Wirkkraft entfalten kann, abhängig davon, ob er im richtigen Kontext wirkt und abhängig davon, ob er die richtige Motivation für seine Tätigkeit freisetzen kann. Ob letzteres möglich wird, hängt indes allein daran, ob er intern oder extern bedingt, Motivation entwickeln kann (und ja, hier wirkt Diskriminierung, welche ihn fühlen lässt, er sei nicht dazu gehörig, ausgeschlossen und weniger wertvoll, eindeutig negativ) und ob er in denjenigen Kontext gesetzt wird, in welchem er exakt so wirkt, dass er nur positives bewirkt. Während ggf. in einem gewissen Kontext eine Vielzahl an Menschen ohne besondere Formen teilhaben kann, ist für andere Menschen ein anderer Weg hingegen sinnvoller – es bedarf spezifischerer, individuellerer Formen der Teilhabe. 
Es sei auch dieses neuartige Verständnis einmal anhand von zwei Extrembeispielen durchdacht. 
Da sei auf der einen Seite das weder zu Eigenversorgung noch zu irgendeiner körperlichen Tätigkeit fähige Kind. Die Frage stellt sich, wo hier die Chance, der Kontext stecken könnte, welcher der Einzigartigkeit eines solchen Kindes Rechnung trägt. Tatsächlich gibt es auch hier einen solchen. Wie sehr dieses Kind, in dem sich die Angewiesenheit von Menschen auf Hilfe und Fürsorge anderer absolut steigert, Liebe erzeugen kann, mag jedermann am realen Beispiel nachlesen (vgl. hierzu der Brief von Eigendorf, 2023). Es ist also die im Menschen angelegte Möglichkeit zur Transzendenz zu seinem Mitmenschen, welche gerade in der Beziehung zu derart fürsorgebedürftigen Menschen in besonderem Maße bewusst wird. Selbst die Reduktion auf eine vollständige eigene Angewiesenheit und Unproduktivität kann also bewirken, dass dann vielmehr andere Menschen sich in der menschlichen Einheit einerseits und in der Differenz andererseits erleben und sich gerade angesichts dessen bewusst werden, dass es die Einheit – die Einzigartigkeit des Menschseins – ist, die Produktivität und diese auslösende (Für-)Sorge rechtfertigt, nicht die Produktivität und Fürsorge das, was den Menschen rechtfertigt.
Da sei auf der anderen Seite das diesbezügliche andere Extrem betrachtet, ein verhaltensgestörter Mensch psychopathologischer Ausprägung, der anderen schadet oder sie sogar tötet und für den es hier in seinem Handeln keine Grenzen gibt. Wie sollen wir damit umgehen? Während der erste Impetus einer „Vernichtung“ des Vernichtenden zunächst naheliegend erscheint, entspricht doch gerade diese nicht dem Berufsbild der Heilpädagogik und noch weniger dem hier vertretenen Verständnis von Teilhabe. Im Gegenteil gilt es auch einen solchen Menschen so einzubinden, dass sein Handeln produktiv wird, sei es, indem er gerade durch seine Negation einen Bildungsauftrag erfüllt, indem er aufzeigt, dass es eben auf Menschen und Menschenleben ankommt, dass es auf Frieden ankommt, indem die von ihm ausgehende Gefahr andere Menschen umso mehr dazu bewegt, zu bewahren und zu schützen, ja, sofern dies misslingt, zu einer Haltung zu gelangen, welche nicht auf gleicher Ebene zurückschlägt, sondern den Menschen abermals umso mehr aufleuchten lässt.  Eine solche – erneut auf das eigentlich Menschliche verweisende Größe – nämlich die menschliche Gemeinschaft als Gattung verweisende Größe wird in dem Gebet des jüdischen Rabbiners Leo Baeck aus dem Jahre 1946 deutlich, der formuliert: „Friede sei den Menschen, die bösen Willens sind und ein Ende sei gesetzt aller Rache und allem Reden von Strafe und Züchtigung. Aller Maßstäbe spotten die Gräueltaten; sie stehen jenseits aller Grenzen menschlicher Fassungskraft und der Blutzeugen sind gar viele. Darum, o Gott, wäge nicht mit der Waage der Gerechtigkeit ihrer Leiden, dass du sie ihren Henkern zurechnest, sondern lass es anders gelten. Schreibe vielmehr den Henkern und Angebern und Verrätern und allen schlechten Menschen zugute und rechne ihnen an all den Mut und die Seelenkraft der anderen, ihr Sich bescheiden, ihre hochgesinnte Würde, ihr stilles Mühen bei alledem, die Hoffnung, die sich nicht besiegt gab und das tapfere Lächern, das die Tränen versiegen ließ, und alle Opfer…Alles das, oh mein Gott, soll zählen vor dir für die Vergebung der Schuld als Lösegeld, zählen für eine Auferstehung der Gerechtigkeit – all das Gute soll zählen und nicht das Böse. Und für die Erinnerung unserer Feinde sollen wir nicht mehr ihre Opfer sein, nicht mehr ihr Alpdruck und Gespensterschreck, vielmehr ihre Hilfe, dass sie von der Raserei ablassen… Nur das heischt man von ihnen – und dass wir, wenn nun alles vorbei ist, wieder als Menschen unter Menschen leben dürfen und wieder Friede werde auf dieser armen Erde über den Menschen guten Willens, und dass Friede auch über die anderen komme.“ (Baeck zitiert nach Frankl/Lapide 2020, S. 143-144).
Es treffen sich also die gewählten beiden Extreme darin, dass sie gerade dadurch, dass sie, wiewohl sie prima facie nichts dazu beitragen (können), den Wert von Menschen herauszuarbeiten, auf den zweiten Blick gerade dazu beitragen, den Wert von Menschen als Individuen wie als Gattung überhaupt erst zu konturieren. Beide dienen geradezu par excellence dazu, aufzuwecken dafür, was das eigentlich Menschliche ist, und für Menschenwürde – im Gegensatz zum Preis – zu sensibilisieren, weil durch sie die Dimensionen besonders deutlich aufscheinen, welche das Menschsein als Individuum wie als Gattung so unendlich wertvoll werden lassen. Teilhabe ist also selbst und wir würden wohl sagen, gerade hier sinnvoll. 
Teilhabe nach diesem Verständnis geht freilich weit über konkrete Tatbestände in einem Sozialstaat hinaus. Dafür gibt es gute Gründe. Werden nämlich in einem Staat entsprechende Teilhabemöglichkeiten nicht gefunden, so besteht prinzipiell mit der Digitalisierung dennoch ein weltweiter Möglichkeitsraum, in welchem nach Teilhabechancen gesucht werden kann, die sich in den Unterschieden zwischen individuellem, privatwirtschaftlichem und staatlichem Engagement realisieren. Und so ist der Begriff der Behinderung gar nicht mehr erforderlich. Er wird aufgelöst in der großen Aufgabe einer ganzheitlich gedachten Teilhabe für alle Menschen. Darum sollte auch ein Teilhabeverständnis hier grundlegend anders gedacht werden (vgl. zur Ausdeutung von Teilhabe generell z.B. Wansing et al. 2022), nämlich nicht allein auf die staatlicherseits bereitzustellenden Teilhabemöglichkeiten, sondern generell darauf, sich zusammen für Teilhabe zu engagieren, übergreifend, weltweit, indem communities entstehen, die sich den Teilhabechancen jeweils dort widmen, wo sich dies als notwendig erweist. Demgegenüber wird eine situativ begrifflich beschränkte Teilhabe auf Basis zeitkontingenter Behinderungsbegriffe immer defizient sein.

4.    Der hieraus erwachsende Handlungsauftrag der Profession der Heilpädagogik an digitalisierte Bildungsinstitutionen
Der nunmehr identifizierte Möglichkeitenspielraum stellt die Profession der Heilpädagogik vor die große Aufgabe seiner Realisierung. Diese besteht darin, jeden Menschen seiner Bestimmung und seinem Wirkungsort zuzuführen und die hierzu zu überwindenden notwendigen Grenzen durch Bildung, womöglich insbesondere digitalisierte Bildung zu überwinden. So impliziert das zuvor gesagte, dass es für jeden Menschen Teilhabe gibt, dass für jeden Menschen der ihm gemäße Unterstützungsbedarf denkbar und darum zumindest potentiell auch (gerade durch geeignete pädagogische Maßnahmen) realisierbar ist. Dem stehen freilich umfassendste Ressourcenknappheiten entgegen. 
Gleichzeitig ergeben sich jedoch auch neue Möglichkeiten: Denken wir nun den Begriff der Teilhabe noch über ein konkretes Staatswesen und dessen sozialpolitische Ausrichtung hinaus auf die neuen Möglichkeiten der Digitalisierung. Digitalisierung bewirkt durch die sie charakterisierende Vernetzung eine einzigartige Chance, dass genau dieser zuvor angesprochene Kontext, die spezifischere Form der Teilhabe für jeden Menschen gefunden werden kann. 
Es handelt sich nicht um eine Aufgabe, die von einzelnen Menschen, ob mit oder ohne Behinderung geleistet werden kann, noch von einzelnen Staaten, weil die Lösung dieser Aufgabe ex ante allen Beteiligten völlig unbekannt ist.
Digitalisierte Bildungsinstitutionen sind hingegen wie keine anderen Institutionen geeignet, genau diesen Bildungsauftrag umzusetzen, sind sie doch spezialisiert, Zeit und Ort durch digitale Elemente zu überbrücken und die hiermit verbundenen Chancen zu realisieren (vgl. auch Fürst 2020). Damit können sie möglich machen, was zuvor undenkbar war, nämlich tatsächlich Zeit und Ort zu identifizieren, an welchem sich nach überkommenem Verständnis „Menschen mit Behinderung“ finden und ihrer auch ihrer eigenen Auffassung nach bestmöglicher Bestimmung zuführen sowie die Hindernisse zwischen diesen beiden Orten durch Bildung zu überwinden.
Bietet die Digitalisierung beispielweise Möglichkeiten einer „Hochschule für alle“? Wie können Hochschulen sich öffnen für Teilhabe, Chancengleichheit und Selbstbestimmung, wie in der UN-BRK gesetzlich vorgesehen? Nach dem Hochschulrahmengesetz muss ebenfalls dafür Sorge getragen werden, dass Menschen mit Beeinträchtigungen nicht benachteiligt werden – auch in der digitalen Lehre (siehe dazu auch: Deutsches Studentenwerk 2022).
Bildungschancen und Teilhabe fangen jedoch schon viel früher an. Es sollten von Anfang an Bedingungen geschaffen werden, die alle Menschen einfach als selbstverständlichen Teil der Gemeinschaft verstehen. Eine Inklusive Bildung ist dabei ein wesentlicher Baustein. 
Selbst dann gilt, dass sicher nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Ist also auch dieser Begriff der Teilhabe defizient? Wenn er richtig verstanden wird nicht, nämlich als vorletzte Kategorie und die letzte Kategorie immer mitgedacht wird. So muss der Möglichkeitenspielraum zu einer Teilhabe selbst auf dieser Basis noch lange nicht kontingent sein. So ist mit Aaron Antonovsky daran zu denken, dass ein „sense of coherence“, mit Viktor Frankl daran, dass ein sinnvolles Handeln nicht am Staatswesen hängt, sondern selbst dort gefunden kann, wo ein Staatswesen in Bezug auf die Gewährung von Teilhabechancen vollkommen versagt (vgl. auch Sipowicz et al. 2022).

5.    Fazit
Fassen wir noch einmal zusammen. Der Begriff Behinderung hat eine einzigartige Geschichte. Gerade die Zusammenschau der unterschiedlichen, historisch kontingenten Begriffe und Sachverhalte, die hier subsumiert werden, wie auch die zunehmende Ausdifferenzierung dieses Begriffes zeigt auf, dass Behinderung als Begriff immer historisch kontingent wie diskriminierend ausfallen muss - die Arbeit mit Menschen mit Behinderung ist insofern nie inklusiv. Erst die Aufgabe des Begriffs bzw. die Erfindung eines nicht kategorisierenden und bewertenden Begriffs und neuer Denkkategorien sowie die gemeinsame, partizipative Suche nach dem richtigen Kontext für Menschen mit einzigartigen Eigenschaften (welche in diesem Kontext als „this ability“ bewundernswert wirken) löst dieses Problem abschließend auf. Das Berufsbild der Heilpädagogik, die Arbeiten zur Disziplinentwicklung und Professionalisierung sowie die Gesellschaft insgesamt weisen tatsächlich erste Ansätze in diese Richtung auf, sie müssen jedoch noch konsequent weiterentwickelt werden, um das hier verborgene - erst auf den zweiten Blick sichtbar werdende - Potential an Bereicherung für unsere (digitalisierte) Gesellschaft zu heben. Der transdisziplinäre wissenschaftliche und auch der gesellschaftliche Diskurs sind hier bedeutsam, um ein gemeinschaftliches, demokratisches, gerechtes, würdevolles und friedliches Miteinander zu fördern. Dies dürfte insbesondere auch für die Profession der Heilpädagogik zukünftig eine wichtige Aufgabe sein. Außerdem ergibt sich daraus ein Handlungsauftrag an die digitalisierten Bildungsinstitutionen in der Gesellschaft, Teilhabe zu bewirken. Die Teilhabeforschung ist hier vielversprechend als ein relativ neues Forschungsfeld (Wansing, Schäfers, Köbsell 2022). Es werden Fragen der Teilhabe thematisiert und wissenschaftlich fundiert reflektiert. Dies erscheint als zeitgemäßer Impuls, um besser zu verstehen, was Teilhabe bedeuten und wie sie realisiert und gestaltet werden kann. Der vorliegende Beitrag darf hier als Plädoyer für ein innovativer Ansatz, der Wertschätzung und Respekt für alle Menschen durch Teilhabe anregen und ermöglichen möchte, verstanden werden.

Quellen: 
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Berufs- und Fachverband Heilpädagogik (BHP) e.V. (Hrsg.) (2022). BHP-Berufsbild Heilpädagoge/Heilpädagogin. https://bhponline.de/download/BHP_Berufsbild-HeilpaedagogIn-2022.pdf (26.1.2023)
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