Autismus im Jugendalter
Der vorliegende Beitrag befasst sich mit Sicht-, Verhaltens- und Erlebensweisen autistischer Schülerinnen und Schüler im Jugendalter. Er beginnt mit allgemeinen und aktuellen Erkenntnissen, die sich auf Einstellungen und die Situation nicht autistischer Jugendlicher beziehen. Diese Befunde werden in Bezug auf autistische Jugendliche diskutiert. Anschließend werden Besonderheiten von Heranwachsen-den aus dem Autismus-Spektrum aufgegriffen. Schlussfolgerungen für die Praxis runden die Ausführungen ab.
Zum Jugendalter – eine allgemeine Betrachtung
Den Begriff des Jugendalters bezieht man heute auf eine Lebensphase von etwa zwölf Jahren, die mit einer in den letzten Jahrzehnten immer früher einsetzenden Pubertät beginnt, die Adoleszenz mit einschließt und mit dem Übergang in das Erwachsenenalter endet.
Wie jede Lebensphase definiert sich das Jugendalter nicht allein durch biologische Entwicklungs- oder Veränderungsprozesse, sondern ebenso durch soziokulturelle, ökonomische und ökologische Einflussfaktoren. Zudem bietet sie große Freiräume für die Gestaltung einer Lebensführung, die – wegbereitend für eine sinnerfüllte, souveräne Lebensverwirklichung im Erwachsenenalter – „hohe Kompetenzen“ verlangt und soziale Akzeptanz und Wertschätzung erfahren sollte (Hurrelmann & Quenzel 2016, 5).
Allerdings haben wir es mit einem Übergewicht der älteren Generation gegenüber der jüngeren zu tun, was die gesellschaftspolitische Teilhabemöglichkeiten und die Einflussnahme der Jugend erheblich erschwert. Diese Situation geht mit einem Adultismus einher, der von vielen Jugendlichen als diskriminierend wahrgenommen wird, wenn sie sich „nicht hinreichend gefragt und einbezogen fühlen“ (Shell-Studie 2019, 13). Damit ist ein Vertrauensverlust in Bezug auf etablierte Instanzen wie Kirche bzw. Religionen sowie Parteien bzw. Politik verbunden. So werden zum Beispiel die Religionsgemeinschaften als belehrend und zu wenig dialogorientiert wahrgenommen (Österreichische Jugend-Wertestudie 2022); und die Politik muss sich den Vorwurf gefallen lassen, das Thema des Umwelt- und Klimaschutzes bislang zu sehr vernachlässigt zu haben.
Die von der Schwedin Greta Thunberg initiierte Bewegung „Fridays for Future“ ist ein Empowerment-Zeugnis jugendlicher Klimaschutzaktivist*innen, das mittlerweile weltweit Beachtung findet. Gleichwohl wird dieses Engagement nicht von allen Jugendlichen geteilt. So ist die große Mehrheit der Jugend noch nicht bereit, auf Gewohnheiten wie die Nutzung eines Autos oder auf Konsum zu verzichten sowie alternative Ernährungsformen zu erproben (Österreichische Jugend-Wertestudie 2022; Schnetzer & Hurrelmann 2021).
Nach der Shell-Studie von 2019 (Albert u. a. 2019) lassen sich über alle Differenzierungen hinweg drei zentrale Tendenzen feststellen: (1) Jugendliche, die als „Kosmopoliten“ (12 %) und als „weltoffen“ (27 %) beschrieben werden, die zum Beispiel die Aufnahme von Flüchtlingen begrüßen, nationalpopulistische Statements ablehnen und sich umweltbewusst engagieren (wie Fridays for Future); (2) Jugendliche, die die Gruppe der „Nicht-eindeutig-Positionierten“ (28 %) bilden, und (3) Jugendliche, die als „Populismus-Geneigte“ (24 %) und als „Nationalpopulisten“ (9 %) gelten, die zum Beispiel der Aufnahme von Flüchtlingen und dem Modell einer multikulturellen Vielfalt ablehnend sowie der Forderung nach wesentlich mehr Klimaschutz eher gleichgültig gegenüberstehen.
Während die „Weltbürger*innen“ oder Weltoffenen zumeist eine höhere Bildung aufweisen und ein weithin positives Bild von der sozialen Gerechtigkeit in Deutschland haben, gehören die Populismus-Geneigten oder Nationalpopulisten größtenteils zu niedrigen Bildungsschichten, die sich (auch im Unterschied zu den „Nicht-eindeutig-Positionierten“) häufig gegenüber Fremden benachteiligt und von anderen fremdbestimmt erleben. Dieses Erleben führt jedoch – ebenso wie bei anderen Peers aus unteren gesellschaftlichen Schichten oder bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die soziale Gerechtigkeit vermissen – weniger zur Resignation als zum Bestreben, sich durchzusetzen und zu behaupten. Das aber kann „je nach Situation und Ausprägung, auch dazu führen, den gesellschaftlichen Anschluss sogar noch weiter zu verlieren“ (Shell-Studie 2019, 23).
Davon abgesehen scheint die Mehrheit der Jugend gegenüber anderen Lebensformen, Minderheiten und sozialen Gruppen weithin tolerant zu sein, ein geringeres Interesse daran zu haben, eigene Bedürfnisse gegen andere durchzusetzen, und Wert auf mehr Gerechtigkeit, gegenseitigen Respekt und Achtsamkeit in der eigenen Lebensführung zu legen. Darüber hinaus hat das Gesundheitsbewusstsein deutlich zugenommen. Etwa 80 % der befragten Jugendlichen halten eine bewusste Lebensführung für wichtig. Wie die Jahre zuvor ist auch der Wunsch nach Unabhängigkeit ungebrochen, und es werden nach wie vor die eigene Familie, stabile soziale Beziehungen und insbesondere verlässliche Freundschaften geschätzt. Gleichfalls scheinen die meisten Jugendlichen weiterhin bereit zu sein, sich in hohem Maße an Leistungsnormen wie Fleiß oder Ehrgeiz zu orientieren.
Zugleich geben sie sich offen für Neues und Veränderungen, was sich unter anderem darin zeigt, dass Internet und Social Media den klassischen Medien (Fernsehen, Printmedien) als Informationsquellen mittlerweile den Rang abgelaufen haben und als zentrale Kommunikationsmittel redlich genutzt werden. Gerade im Umgang mit elektronischen Medien und sozialen Mediennetzwerken haben nicht wenige Heranwachsende ein selbstständiges, kompetentes und kreatives Verhalten entwickelt, das dem Umgang der älteren Generationen mit elektronischen Medien und Internet oft deutlich überlegen ist (Hurrelmann & Quenzel 2016, 23).
Typisch für Jugendliche ist, dass sie noch keine volle gesellschaftliche Verantwortung übernehmen müssen, zugleich aber als Konsument*innen willkommen sind und vor allem in soziokulturellen Bereichen (z. B. am Freizeitsektor) nahezu uneingeschränkt partizipieren können.
An dieser Stelle wird deutlich, dass die klassischen Entwicklungsaufgaben für das Jugendalter (Havighurst 1948) – zum Beispiel die Identitätsfindung in der Geschlechtsrolle, die Ablösung von den Eltern und Gewinnung von Autonomie, der Aufbau eines eigenen Systems von Gerechtigkeit, Moral- und Wertvorstellungen, die Entwicklung beruflicher Vorstellungen und einer zukünftigen Lebensperspektive sowie die Vorbereitung auf das Leben im Erwachsenenalter – einer Ergänzung oder Modifikation durch neue herausfordernde Aufgaben bedürfen. Das betrifft zum Beispiel die Entwicklung von Kompetenzen als (kritisch-konstruktive) Nutzer*innen digitaler Medien und sozialer Netzwerke sowie als (reflektierte) Konsument*innen der Angebote der Kultur-, Freizeit- und Konsumindustrie, um engagiert am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben teilhaben zu können. Darüber hinaus werden das Ausprobieren von alternativen Lebensentwürfen und „Überlebenskonzepten“ in Ermöglichungsräumen sowie die dauerhafte Auseinandersetzung mit Ungewissheit (offenen Zukunftsperspektiven) genannt, um dadurch Ressourcen zu erschließen und zu stärken sowie Lebenszuversicht zu gewinnen oder aufrechtzuerhalten (Hurrelmann & Quenzel 2016).
Seit den deutlich zunehmenden Klimakatastrophen, der Corona-Pandemie und dem Krieg in der Ukraine kann dieser Aspekt nicht hoch genug eingeschätzt werden. Mittlerweile hat die Kriegsangst die bisher dominierenden Ängste vor dem Klimawandel sowie die psychischen Belastungen und Beeinträchtigungen durch die Corona-Pandemie verdrängt. Das macht die jüngste repräsentative Trendstudie deutlich (Schnetzer & Hurrelmann 2022), der zu entnehmen ist, dass die durch Corona bedingten psychischen und sozialen Probleme (z. B. Stress, Ängste, Antriebslosigkeit, Depressionen, Schlafprobleme, Kontrollverlust bei der Alltagsgestaltung, Verschlechterung der persönlichen Beziehungen, Bildungs- und Berufslaufbahn) zwar noch nicht überwunden sind, aber durch ein Arrangement mit veränderten Bildungs- und Arbeitsbedingungen (z. B. „Homeschooling“) nicht mehr als so gravierend erlebt werden.
Stattdessen bereitet neben dem Klimawandel etwa zwei Drittel der im Rahmen der aktuellen Trendstudie befragten Personen (N = 1021; Alter 14 bis 29) der Krieg in der Ukraine große Sorgen, wobei die Mehrheit von ihnen zwar Sanktionen gegenüber Russland befürwortet, sich jedoch im Unterschied zur Politik (u. a. der Grünen) gegenüber Militärausgaben und Waffenlieferungen sehr zurückhaltend äußert. Sehr große Sorgen machen sich die Befragten zudem über die gegenwärtige Inflation, eine unsichere berufliche, finanzielle und wirtschaftliche Zukunft sowie ihre Alterssicherung. Dem Anschein nach spüren und befürchten wohl viele ein „Ende der Wohlstandsjahre“ (ebd.). In dem Zusammenhang sehen die Autoren eine neue Entwicklungsaufgabe, die sich auf den Umgang mit Finanzmitteln bezieht, indem Jugendliche frühzeitig lernen sollten, mit knappen finanziellen Ressourcen zurechtzukommen.
Ein deutlicher Unterschied zu vergangenen Befragungen zeigt sich offenbar bei den Einstellungen zur Arbeit, indem nicht mehr der Wunsch, das eigene Leben „in vollen Zügen genießen“ zu wollen – wie noch in der Shell-Studie (2019, 20) festgestellt wurde – verspürt wird, sondern die Motivation, Geld zu verdienen, sowie das Interesse, gut bezahlt zu werden.
Die hier kurz skizzierten Entwicklungen spiegeln – so ein weiterer Befund aus der aktuellen Trendstudie – eine eher uneindeutige Stimmungslage wider, die ein „beträchtliches Ausmaß von Verunsicherung“ signalisiert. Als besorgniserregend kann nämlich die steigende Tendenz hinsichtlich Suizidgedanken (10 % der Befragten) und Hilflosigkeit (16 %) eingeschätzt werden, wenngleich bei der großen Mehrheit der Jugendlichen „ein robustes Maß an Optimismus“ ermittelt wurde, die gegenwärtigen Krisen und Probleme letztlich bewältigen zu können. Damit lässt sich die Mehrheit der Jugend nicht „unterkriegen“, und sie zeigt sich als problembewusst und widerstandsfähig.
Zur Bewältigung all dieser Herausforderungen sollten neben selbst organisierten Zusammenschlüssen (Peergroups etc.) verschiedene Sozialisationsinstanzen (wie Familie, Schule, Ausbildungsstätte, Jugend- oder Freizeitzentren, Medien) unvoreingenommen unterstützend mitwirken. Ferner legen die heutigen Erkenntnisse in Hinblick auf das Jugendalter ein politisches Umsteuern nahe, um zum Beispiel durch Senkung des Wahlalters und durch Ermöglichungsräume der Partizipation (Mitsprache, Mitbestimmung, Mitgestaltung) eine strukturelle Benachteiligung der jüngeren gegenüber der älteren Generation abzubauen.
Interessant ist nunmehr die Frage, wie sich das Jugendalter von Heranwachsenden aus dem Autismus-Spektrum von der skizzierten Entwicklung und Situation der nicht autistischen Peers unterscheidet.
Wie jede Lebensphase definiert sich das Jugendalter nicht allein durch biologische Entwicklungs- oder Veränderungsprozesse, sondern ebenso durch soziokulturelle, ökonomische und ökologische Einflussfaktoren. Zudem bietet sie große Freiräume für die Gestaltung einer Lebensführung, die – wegbereitend für eine sinnerfüllte, souveräne Lebensverwirklichung im Erwachsenenalter – „hohe Kompetenzen“ verlangt und soziale Akzeptanz und Wertschätzung erfahren sollte (Hurrelmann & Quenzel 2016, 5).
Allerdings haben wir es mit einem Übergewicht der älteren Generation gegenüber der jüngeren zu tun, was die gesellschaftspolitische Teilhabemöglichkeiten und die Einflussnahme der Jugend erheblich erschwert. Diese Situation geht mit einem Adultismus einher, der von vielen Jugendlichen als diskriminierend wahrgenommen wird, wenn sie sich „nicht hinreichend gefragt und einbezogen fühlen“ (Shell-Studie 2019, 13). Damit ist ein Vertrauensverlust in Bezug auf etablierte Instanzen wie Kirche bzw. Religionen sowie Parteien bzw. Politik verbunden. So werden zum Beispiel die Religionsgemeinschaften als belehrend und zu wenig dialogorientiert wahrgenommen (Österreichische Jugend-Wertestudie 2022); und die Politik muss sich den Vorwurf gefallen lassen, das Thema des Umwelt- und Klimaschutzes bislang zu sehr vernachlässigt zu haben.
Die von der Schwedin Greta Thunberg initiierte Bewegung „Fridays for Future“ ist ein Empowerment-Zeugnis jugendlicher Klimaschutzaktivist*innen, das mittlerweile weltweit Beachtung findet. Gleichwohl wird dieses Engagement nicht von allen Jugendlichen geteilt. So ist die große Mehrheit der Jugend noch nicht bereit, auf Gewohnheiten wie die Nutzung eines Autos oder auf Konsum zu verzichten sowie alternative Ernährungsformen zu erproben (Österreichische Jugend-Wertestudie 2022; Schnetzer & Hurrelmann 2021).
Nach der Shell-Studie von 2019 (Albert u. a. 2019) lassen sich über alle Differenzierungen hinweg drei zentrale Tendenzen feststellen: (1) Jugendliche, die als „Kosmopoliten“ (12 %) und als „weltoffen“ (27 %) beschrieben werden, die zum Beispiel die Aufnahme von Flüchtlingen begrüßen, nationalpopulistische Statements ablehnen und sich umweltbewusst engagieren (wie Fridays for Future); (2) Jugendliche, die die Gruppe der „Nicht-eindeutig-Positionierten“ (28 %) bilden, und (3) Jugendliche, die als „Populismus-Geneigte“ (24 %) und als „Nationalpopulisten“ (9 %) gelten, die zum Beispiel der Aufnahme von Flüchtlingen und dem Modell einer multikulturellen Vielfalt ablehnend sowie der Forderung nach wesentlich mehr Klimaschutz eher gleichgültig gegenüberstehen.
Während die „Weltbürger*innen“ oder Weltoffenen zumeist eine höhere Bildung aufweisen und ein weithin positives Bild von der sozialen Gerechtigkeit in Deutschland haben, gehören die Populismus-Geneigten oder Nationalpopulisten größtenteils zu niedrigen Bildungsschichten, die sich (auch im Unterschied zu den „Nicht-eindeutig-Positionierten“) häufig gegenüber Fremden benachteiligt und von anderen fremdbestimmt erleben. Dieses Erleben führt jedoch – ebenso wie bei anderen Peers aus unteren gesellschaftlichen Schichten oder bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund, die soziale Gerechtigkeit vermissen – weniger zur Resignation als zum Bestreben, sich durchzusetzen und zu behaupten. Das aber kann „je nach Situation und Ausprägung, auch dazu führen, den gesellschaftlichen Anschluss sogar noch weiter zu verlieren“ (Shell-Studie 2019, 23).
Davon abgesehen scheint die Mehrheit der Jugend gegenüber anderen Lebensformen, Minderheiten und sozialen Gruppen weithin tolerant zu sein, ein geringeres Interesse daran zu haben, eigene Bedürfnisse gegen andere durchzusetzen, und Wert auf mehr Gerechtigkeit, gegenseitigen Respekt und Achtsamkeit in der eigenen Lebensführung zu legen. Darüber hinaus hat das Gesundheitsbewusstsein deutlich zugenommen. Etwa 80 % der befragten Jugendlichen halten eine bewusste Lebensführung für wichtig. Wie die Jahre zuvor ist auch der Wunsch nach Unabhängigkeit ungebrochen, und es werden nach wie vor die eigene Familie, stabile soziale Beziehungen und insbesondere verlässliche Freundschaften geschätzt. Gleichfalls scheinen die meisten Jugendlichen weiterhin bereit zu sein, sich in hohem Maße an Leistungsnormen wie Fleiß oder Ehrgeiz zu orientieren.
Zugleich geben sie sich offen für Neues und Veränderungen, was sich unter anderem darin zeigt, dass Internet und Social Media den klassischen Medien (Fernsehen, Printmedien) als Informationsquellen mittlerweile den Rang abgelaufen haben und als zentrale Kommunikationsmittel redlich genutzt werden. Gerade im Umgang mit elektronischen Medien und sozialen Mediennetzwerken haben nicht wenige Heranwachsende ein selbstständiges, kompetentes und kreatives Verhalten entwickelt, das dem Umgang der älteren Generationen mit elektronischen Medien und Internet oft deutlich überlegen ist (Hurrelmann & Quenzel 2016, 23).
Typisch für Jugendliche ist, dass sie noch keine volle gesellschaftliche Verantwortung übernehmen müssen, zugleich aber als Konsument*innen willkommen sind und vor allem in soziokulturellen Bereichen (z. B. am Freizeitsektor) nahezu uneingeschränkt partizipieren können.
An dieser Stelle wird deutlich, dass die klassischen Entwicklungsaufgaben für das Jugendalter (Havighurst 1948) – zum Beispiel die Identitätsfindung in der Geschlechtsrolle, die Ablösung von den Eltern und Gewinnung von Autonomie, der Aufbau eines eigenen Systems von Gerechtigkeit, Moral- und Wertvorstellungen, die Entwicklung beruflicher Vorstellungen und einer zukünftigen Lebensperspektive sowie die Vorbereitung auf das Leben im Erwachsenenalter – einer Ergänzung oder Modifikation durch neue herausfordernde Aufgaben bedürfen. Das betrifft zum Beispiel die Entwicklung von Kompetenzen als (kritisch-konstruktive) Nutzer*innen digitaler Medien und sozialer Netzwerke sowie als (reflektierte) Konsument*innen der Angebote der Kultur-, Freizeit- und Konsumindustrie, um engagiert am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben teilhaben zu können. Darüber hinaus werden das Ausprobieren von alternativen Lebensentwürfen und „Überlebenskonzepten“ in Ermöglichungsräumen sowie die dauerhafte Auseinandersetzung mit Ungewissheit (offenen Zukunftsperspektiven) genannt, um dadurch Ressourcen zu erschließen und zu stärken sowie Lebenszuversicht zu gewinnen oder aufrechtzuerhalten (Hurrelmann & Quenzel 2016).
Seit den deutlich zunehmenden Klimakatastrophen, der Corona-Pandemie und dem Krieg in der Ukraine kann dieser Aspekt nicht hoch genug eingeschätzt werden. Mittlerweile hat die Kriegsangst die bisher dominierenden Ängste vor dem Klimawandel sowie die psychischen Belastungen und Beeinträchtigungen durch die Corona-Pandemie verdrängt. Das macht die jüngste repräsentative Trendstudie deutlich (Schnetzer & Hurrelmann 2022), der zu entnehmen ist, dass die durch Corona bedingten psychischen und sozialen Probleme (z. B. Stress, Ängste, Antriebslosigkeit, Depressionen, Schlafprobleme, Kontrollverlust bei der Alltagsgestaltung, Verschlechterung der persönlichen Beziehungen, Bildungs- und Berufslaufbahn) zwar noch nicht überwunden sind, aber durch ein Arrangement mit veränderten Bildungs- und Arbeitsbedingungen (z. B. „Homeschooling“) nicht mehr als so gravierend erlebt werden.
Stattdessen bereitet neben dem Klimawandel etwa zwei Drittel der im Rahmen der aktuellen Trendstudie befragten Personen (N = 1021; Alter 14 bis 29) der Krieg in der Ukraine große Sorgen, wobei die Mehrheit von ihnen zwar Sanktionen gegenüber Russland befürwortet, sich jedoch im Unterschied zur Politik (u. a. der Grünen) gegenüber Militärausgaben und Waffenlieferungen sehr zurückhaltend äußert. Sehr große Sorgen machen sich die Befragten zudem über die gegenwärtige Inflation, eine unsichere berufliche, finanzielle und wirtschaftliche Zukunft sowie ihre Alterssicherung. Dem Anschein nach spüren und befürchten wohl viele ein „Ende der Wohlstandsjahre“ (ebd.). In dem Zusammenhang sehen die Autoren eine neue Entwicklungsaufgabe, die sich auf den Umgang mit Finanzmitteln bezieht, indem Jugendliche frühzeitig lernen sollten, mit knappen finanziellen Ressourcen zurechtzukommen.
Ein deutlicher Unterschied zu vergangenen Befragungen zeigt sich offenbar bei den Einstellungen zur Arbeit, indem nicht mehr der Wunsch, das eigene Leben „in vollen Zügen genießen“ zu wollen – wie noch in der Shell-Studie (2019, 20) festgestellt wurde – verspürt wird, sondern die Motivation, Geld zu verdienen, sowie das Interesse, gut bezahlt zu werden.
Die hier kurz skizzierten Entwicklungen spiegeln – so ein weiterer Befund aus der aktuellen Trendstudie – eine eher uneindeutige Stimmungslage wider, die ein „beträchtliches Ausmaß von Verunsicherung“ signalisiert. Als besorgniserregend kann nämlich die steigende Tendenz hinsichtlich Suizidgedanken (10 % der Befragten) und Hilflosigkeit (16 %) eingeschätzt werden, wenngleich bei der großen Mehrheit der Jugendlichen „ein robustes Maß an Optimismus“ ermittelt wurde, die gegenwärtigen Krisen und Probleme letztlich bewältigen zu können. Damit lässt sich die Mehrheit der Jugend nicht „unterkriegen“, und sie zeigt sich als problembewusst und widerstandsfähig.
Zur Bewältigung all dieser Herausforderungen sollten neben selbst organisierten Zusammenschlüssen (Peergroups etc.) verschiedene Sozialisationsinstanzen (wie Familie, Schule, Ausbildungsstätte, Jugend- oder Freizeitzentren, Medien) unvoreingenommen unterstützend mitwirken. Ferner legen die heutigen Erkenntnisse in Hinblick auf das Jugendalter ein politisches Umsteuern nahe, um zum Beispiel durch Senkung des Wahlalters und durch Ermöglichungsräume der Partizipation (Mitsprache, Mitbestimmung, Mitgestaltung) eine strukturelle Benachteiligung der jüngeren gegenüber der älteren Generation abzubauen.
Interessant ist nunmehr die Frage, wie sich das Jugendalter von Heranwachsenden aus dem Autismus-Spektrum von der skizzierten Entwicklung und Situation der nicht autistischen Peers unterscheidet.