"Es gibt keine kleine Liebe"
Das Inklusive Tanz-, Kultur- und Theaterfestival InTaKT in Graz beeindruckte unter anderem mit Texten von Menschen mit Behinderung und einer inklusiven Inszenierung von Romeo und Julia.
Das Publikum im Saal ist ruhig und schaut gespannt auf die Bühne. Eine junge Frau in einem eleganten roten Oberteil blickt den Zuhörenden offensichtlich nervös entgegen. Unter dem Tisch streckt sie ihre Hand einer Kollegin hin, die diese behutsam in ihre Hände legt. Die junge Frau lächelt und beginnt zu lesen. „Die große Liebe ist für mich, wenn ich meinem Freund ins Gesicht lächle. Es gibt keine kleine Liebe, denn alles, was aus dem Herzen kommt, ist groß.“ Agnes Zenz ist eine von mehreren Menschen mit Behinderung, die im Rahmen der Eröffnungsfeier des InTaKT-Festivals ihre Texte präsentierten bzw. deren Texte von einer Schauspielerin vorgelesen wurden.
Bereits zum siebenten Mal fand heuer in Graz das InTaKT-Festival statt. Vom 10. bis 13. November wurden sehr viele inklusive Programmpunkte geboten. Erstmalig wurden das Programmheft und die Website auch in einfacher Sprache gestaltet. Übersetzungen in die Gebärdensprache und Filme mit Untertiteln waren die letzten Jahre schon selbstverständlich. Das Veranstalter:innenteam versucht damit, eine gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit und ohne Behinderung zu ermöglichen. Das InTaKT-Festival ist über die Jahre stark gewachsen. Anfangs finanzierte sich die Veranstaltung noch mit wenigen Fördermitteln. Heute ist es „ein jährlich stattfindendes Festivalprogramm mit internationalen Künstler:innen mit und ohne Beeinträchtigung, welches das Publikum zu verzaubern vermag und auch zur Öffnung der Gesellschaft beiträgt“, wie Lina Hölscher, die künstlerische Leiterin der Veranstaltung, stolz in einem Interview erzählt.
Dieses Jahr konnte auch die Freie Bühne München für die Aufführung ihres Stückes Romeo und Julia gewonnen werden. Die Vorstellung im Schauspielhaus war komplett ausverkauft. Das inklusive Ensemble bot eine eigene Fassung, in der Romeo und Julia von jeweils drei Darsteller:innen verkörpert wurden. Mit der Verlegung der facettenreichen Inszenierung in die Gegenwart griffen die Schauspieler:innen auch den Zeitgeist auf: Social Media als Druckmittel für körperliche Perfektion. „Junge Menschen geraten immer mehr unter Druck, sich mit ihrer äußeren Darstellung auseinanderzusetzen. Auf allen Ebenen ist die Technik so fortgeschritten, dass wir uns je nach Lust, Laune und Mode verwandeln können. Schrill, trashig, schick. Der Mensch dahinter scheint unsichtbar“, schreibt die Dramaturgin Florentina Ileana Tautu im Programmheft zum Theaterstück.
Autor:
Sascha Hinterleitner, Bakk.phil. M.A.
Redakteur bei der Zeitschrift Menschen.