Preisgekrönter inklusiver Fußball in Sarajevo
Beim Fußballverein FK Respekt Sarajevo soll jedes Kind die Möglichkeit bekommen, Teil der Gruppe zu werden. Fußball als Inklusionsfaktor – gepaart mit sportlichen Ambitionen.
„Wenn man es genau nimmt, brechen fast alle Sportvereine die UN-Kinderrechtskonvention. Alle Kinder haben ein Recht auf Sport und aktive Erholung. Doch Menschen mit Behinderung werden oft in gesonderte Teams gesteckt. So Amina Kurtagić, die gemeinsam mit Emir Hujdur den Fußballverein FK Respekt führt: „Hinzu kommen Mitgliedsbeiträge, die für manche Familien einfach nicht zu stemmen sind.“
Der FK Respekt ist kein herkömmlicher Fußballverein: Er gilt international als Aushängeschild für erfolgreiche Inklusion. Im Gespräch merkt man Hujdur und seiner Kollegin Amina Kurtagić an, dass sie nur ungern erklären, welche Kinder in ihrem Verein spielen. Denn das unterteilt sie in Kategorien: „Wir trainieren Kinder mit und ohne Behinderungen, Kinder, die Opfer von Gewalt sind, Waisenkinder, Roma, Flüchtlinge“, zählt Kurtagić auf. „Doch bei uns sind alle gleich – unabhängig davon, ob sie aus einer vulnerablen Gruppe kommen oder nicht. Sie stehen auf demselben Fußballplatz, spielen zur selben Zeit in derselben Mannschaft.“ Die Kinder trainieren kostenlos. Alle 15 Trainer:innen arbeiten ehrenamtlich.
Kinder mit Behinderungen erhalten in Bosnien kaum Unterstützung
Für ihre Arbeit erhielten die Vereinsverantwortlichen in den vergangenen Jahren diverse Preise. Denn mit ihrer Arbeit ermöglichen sie den Kindern einen Zugang zur Gemeinschaft, der ansonsten vielen verwehrt bliebe. Das Sozialsystem des Landes ist in Hinblick auf Personen mit Behinderungen enorm auf die Folgen des Bosnienkriegs ausgerichtet. So erhielten 2016 Veteranen, die durch Kriegsfolgen mit einer Behinderung leben, laut UNICEF monatlich bis zu 1 845 Bosnische Mark. Diese umgerechnet rund 1 000 Euro waren damals mehr als das Doppelte des Durchschnittseinkommens der Erwerbstätigen in Bosnien. Zivile Opfer des Krieges erhielten je nach Behinderungsgrad bis zu 1 300 Mark sowie weitere Hilfestellungen.
Anders sah es bei Personen aus, die durch Krankheiten, Unfälle oder von Geburt an eine Behinderung haben – somit auch bei Kindern. Sie wurden im Jahr der UNICEF-Studie mit maximal 403 Mark unterstützt, was gerade einmal knapp über 200 Euro entspricht. Auch kritisierten mehrere Personen in einer Befragung die Praxis der Feststellungsuntersuchungen des Behinderungsgrads: Diese Untersuchungen seien zum Teil „unmenschlich, herabwürdigend und demütigend“.
Besondere Erlebnisse und ambitionierte Ziele
Umso wichtiger sind soziale Projekte, die den Jugendlichen einen Zugang zu Freizeitangeboten verschaffen. So erzählen Kurtagić und Hujdur von besonderen Geschichten, die sie in ihren Jahren beim FK Respekt erlebten. Von dem Jungen, der mit 14 Jahren beim Training seine ersten Worte überhaupt sprach. Oder dem Jugendlichen, der Schwierigkeiten hatte zu laufen und die ersten Monate im Verein nur auf dem Boden saß – bis er eines Tages aufstand und gegen den Ball trat. Für Kurtagić gehen solche Erfolgserlebnisse auf die Art zurück, wie sie und die Mannschaftskamerad:innen mit den Kindern umgehen: „Zu Beginn haben unsere Torhüter die Schüsse eines Jungen mit Autismus absichtlich durchgelassen. Er hat ein Tor geschossen – das muss doch super sein! Aber er war nicht glücklich.“ Wenn die Keeper die Schüsse absichtlich durchließen, fühlten sich die Kinder mit Behinderungen nicht als Teil der Gruppe, so Kurtagic. „Doch als er dann ein paar Wochen später sein erstes ‚richtiges‘ Tor geschossen hat, war das der wahrscheinlich schönste Moment seines Lebens – er ist jubelnd über den ganzen Platz gelaufen!“
Auch Kinder, die einen obligatorischen medizinischen Test nicht bestehen und somit nicht selbst spielen dürfen, bleiben Teil des Vereins. „Wenn wir sagen würden: ‚Danke, das war’s – du kannst nicht mitspielen‘, hätten wir die Kinder ausgeschlossen“, meint Kurtagić. „Daher haben wir einen Weg gefunden, sie ins Team einzugliedern. Wir haben bei jedem Spiel einen ‚Offiziellen‘, der beispielsweise die Spielerpässe den Schiedsrichtern übergibt. Das machen dann die Kinder, die aus medizinischen Gründen nicht selbst spielen können oder dürfen.“
Neben dem sozialen Aspekt geht es beim FK Respekt aber auch um sportlichen Erfolg. „Am Ende des Tages sind wir ein Fußballverein und keine humanitäre Hilfsorganisation“ meint Hujdur. „Wir wollen auch Talente fördern.“
Autor:
Yannick Lemke ist ein Journalist aus Nordrhein-Westfalen. Im Sommer 2022 hat er im Zuge seines Masterstudiums an der Technischen Universität Dortmund eine Reise nach Bosnien und Herzegowina unternommen. Vor Ort ergab sich die Möglichkeit, die Vereinsverantwortlichen des FK Respekt zum Interview zu treffen.
E-Mail: yannick.lemke@tu-dortmund.de