An der slowenischen Riviera
Das Hotel Bernardin liegt in Portorož direkt am Meer; es ist an einen Felsen gebaut, trägt stolze fünf Sterne und verströmt den Charme der 70er-Jahre. Im Hotel führt ein Lift vom elften Stock, wo sich der Eingang auf einer Bergkuppe befindet, direkt an die Uferpromenade. Damit sind die Vorzüge des Hotels für Rollstuhlfahrer:innen auch schon erschöpfend aufgezählt. Ein einziges Zimmer verfügt über ein behindertengerechtes Bad, weder die Freiluftbar im zehnten Stock noch der Meerwasserpool noch der Spabereich sind ohne Stufen erreichbar, es fehlt ein Behinderten-parkplatz, die Tische im Restaurantbereich und im Frühstücksbuffet sind mit dem Rollstuhl nicht unterfahrbar, man muss sich grotesk verrenken, um seinen Hunger zu stillen. Rollstuhlfah-rer:innen sollten bei der Nahrungsaufnahme ohnehin Zurückhaltung üben, hatte der Dozent ge-meint, worauf Groll in einem unbeobachteten Moment einen Klacks Himbeermarmelade in des-sen Kaffee rührte. Dass die Zimmerpreise sich auf gehobenem mitteleuropäischem Niveau be-wegen, komplettierte die Bestandsaufnahme.
Schlusslichter in Barrierefreiheit
Die beiden Freunde sollten in den paar Ostertagen feststellen, dass Rampen und Behindertentoi-letten in den slowenischen Restaurants weitgehend unbekannt sind. Was für ein Kontrast zu Ita-lien, hatte Groll kopfschüttelnd gesagt. Beide Staaten haben die UN-Behindertenrechtskonvention ratifiziert, Italien war schon zuvor in hohem Maße barriere-frei, Slowenien und Kroatien stellen europäische Schlusslichter dar, Österreich liegt in diesem Ranking näher bei seinen südslawischen Nachbarn.
Betrachtungen dieser Art anstellend, waren der Dozent und Herr Groll von Portorož nach Piran an der Küste entlangspaziert. Auf der Uferstraße folgte eine Parkfläche der anderen, freie Plätze waren nirgendwo zu sehen. Nach Piran selbst durften nur Taxis und Anrainer. Shuttlebusse karrten Touristen in die kleine venezianische Stadt mit ihrer großartigen autofreien Piazza. Win-zige Müllautos schwärmten durch die engen Gassen und sorgten für Sauberkeit. Das Wetter am Ostersonntag war heiter, manchmal brach die Sonne durch, aber der Fallwind von den Karsthü-geln oberhalb der Bucht war eisig. In den Freiluftlokalen saßen die Touristen in Einheitsunifor-men – dunkle Parkas mit breiten Wülsten – und taten sich an weißem Malvasia oder rotem Re-fosco gütlich. Dazu verzehrten sie luftgetrockneten istrischen Pršut, Weißbrot und kleine schwarze Oliven.
Vor einer herrschaftlichen Villa parkten zwei schwarze Luxuskarossen, ein Bentley Bentayga und ein Lamborghini Urus. Beide trugen ukrainische Kennzeichen.
Bentley auf Audi-Plattform
„Ich habe den Ekel in Ihrem Blick gesehen und möchte Sie höflich bitten, jetzt zu schweigen“, sagte der Dozent.
Er werde den Teufel tun, die Wirkung dieses obszönen Bildes zu zerreden, erwiderte Groll und fügte hinzu, ein Freund, der während der Fußball-EM 2012 in der Ukraine für ein Cateringun-ternehmen arbeitete, habe berichtet, dass die Dichte an Maybach-Limousinen vor den Luxuslo-gen in den Stadien beträchtlich gewesen sei.
„Da fällt mir ein: Wussten Sie, dass der Bentley auf einer Audi-Plattform steht?“
„Tatsächlich?“
Herr Groll bemühte sich, den skeptischen Unterton zu überhören. „Da spart man sein ganzes Leben brav, gönnt sich nichts, isst nur Erdäpfel und trinkt den Wein aus dem Tetra Pak, bis man endlich die dreihunderttausend Euro für einen Bentley in der Basisausstattung beisammen hat und dann steht das Ding auf einer Audi-Plattform! In Kärnten fährt jeder Volksschullehrer einen geleasten Achtzylinder Audi. Wenn man als Lamborghini-Fahrer die Plattform mit einem Brot- und Butterauto aus Ingolstadt an der Donau teilt, bleibt die Exklusivität auf der Strecke.“
„Wenn man das nicht weiß, bleibt aber immer noch der Protzfaktor, und der ist beträchtlich“, versetzte der Dozent.
„Da mögen Sie recht haben“, gab Groll zu. „Sie können diese Perlen der Automobilkunst auch vor dem Schlosshotel in Velden am Wörthersee bewundern. Dort parken russische und ukraini-sche Oligarchen einträchtig nebeneinander.“
Ferruccio Lamborghini habe als Kühlschrankerzeuger und Hersteller von Traktoren begonnen, bemerkte der Dozent. Offensichtlich sei die Sportwagenschmiede, seit sie von Volkswagen ge-schluckt wurde, auf dem Weg zurück.
„Vom Hypersportwagen zum überdimensionierten Lieferauto“, vollendete Groll den Gedanken.
Der Dozent lächelte schmal.