Thema der Ausgabe 3/4/2022:

Psychomotorik

„Psychomotorik als feinfühlender tonisch-emotionaler Dialog.“Josef Fragner, Chefredakteur

 

Intro:

Josef Fragner, Chefredakteur

Psychomotorik

„Ich bemühte mich, die Persönlichkeit eines jeden Kindes zu achten, die es durch seine Haltung ausdrückte“, beschreibt Bernard Aucouturier seinen Weg. Es war damals, in den 1960er-Jahren, eine Revolution, dem Kind freie Bewegung zuzugestehen, warmherzig zu sein, die Freude an der Kommunikation zu suchen, ihm Vertrauen zu schenken und es mit Respekt zu ermutigen und die eigenen intellektuellen Analysen zu zügeln. „Das Kind zu verstehen heißt nicht, es als Objekt für intellektuelle Analyse zu betrachten“.

Diese Haltung hat Wurzeln in ganz Europa geschlagen. Marion Esser hat für dieses Heft nicht nur selbst zwei Beiträge geschrieben, sondern auch die europäische Prominenz der Psychomotorik nach Aucouturier versammelt und ihre Beiträge aus dem Spanischen und Französischen übersetzt.
Mary Angeles Cremades Carceller, eine klinische Psychologin und Psychomotorik-Therapeutin aus Spanien zeigt auf, wie ein Mensch über seinen Körper zur Person wird. Den Körper zu bewohnen, ermöglicht uns das „Wohlfühlen in der eigenen Haut“. Dabei gilt es, dem haltgebenden Rücken, den Gewicht gebenden Emotionen, den Gebrauch der Hände wie der Balance Beachtung zu schenken.
Alvaro Beñaran Aranzabal, ebenfalls aus Spanien, weist auf die psychomotorische Praxis als Anregung für eine Pädagogik hin, die die Kinder als Subjekte ihres Handelns und Konstrukteure ihres Wissens ernst nimmt. „Indem wir in der Lage sind, die Fragen zu ändern, können wir neue Antworten finden“. Dabei geht es nicht darum, unangemessene Handlungen direkt zu korrigieren, sondern eine Beziehung aufzubauen, die Vertrauen in das Kind setzt.
Philippe Lemenu und Danielle Michaux aus Belgien weisen darauf hin, dass sich in der frühkindlichen Welt Körper und Emotionen verdichten. Tonus und Bewegung ergeben für das Baby einen Sinn. Die Haltung des Umhüllens wird zur Haltung der Rückversicherung. Der Weg von der Angst zur Freude und zur psychischen Reifung wird anhand von Fotos illustriert.
Im ersten Beitrag von Marion Esser geht es um „Rede“ und „Antwort“ in der Psychomotorik-Therapie. Das Kind erzählt im Psychomotorik-Raum über seinen Körper- und Bewegungsausdruck seine Geschichte. „Indem ich nicht in jedem Moment zu verstehen suche und frei bleibe dafür, was geschieht, tut sich ein Zwischenraum auf, in dem etwas Neues entstehen kann“. Im zweiten Beitrag wird die Arbeit mit Kleingruppen dargestellt. Die Spiele der tiefen Rückversicherung wie das Konzept vom „Umweg“ sind dabei besonders bedeutsam.
Annette Orphal, die vorwiegend nach der Feldenkrais und der Child’Space Methode arbeitet, plädiert für eine spürende Selbsterforschung durch körperliche Selbstwahrnehmung. „Solange wir die Prozesse nicht in uns spüren, werden unsere Augen sie in der Beobachtung auch nicht wahrnehmen“.
Ein bunter Magazinteil ergänzt die hochkarätigen Artikel des Thema-Teils. Die Stimme der Eltern ist diesmal Bárbara Zimmermann, da Birte Müller leider verhindert ist. „Ich möchte nicht die Einzige sein, die das Leben meines Kindes feiert. Das schaffe ich nicht!“.
Das Konzept des unbewussten Körperbildes ist sowohl für die Psychoanalyse wie für die Psychomotoriktherapie relevant, so Dagmar Ambass und Robert Langnickel. Anhand von Zeichnungen zeigen sie anschaulich, wie Kinder neben ihrer verbalen Sprache ihr Erleben mitzuteilen versuchen.
Andrea Samson und Giona di Poi gehen der Frage nach, wie Familien mit behinderten Kindern die Covid-19-Pandemie erlebt haben.
Dieter Fischer stellt sich einem Thema, das uns alle derzeit zutiefst erschreckt, dem Kriegsgeschehen in der Ukraine. Die Grundsicherheit, das Vertrauen in die eigene Person wie in das Leben erfährt Risse. „Jeder Bomben- oder Kanonentreffer zerstört nicht nur ein Haus, sondern trifft das Lebenszutrauen und den Glauben an das Gute. Von diesem Vertrauen leben und mit diesem atmen wir. Nur mit Vertrauen lässt sich der Zukunft zuversichtlich entgegengehen und diese auch gestalten“.
Nicht alle können ein Star wie Lionel Messi werden, aber fast alle Kinder träumen davon, so die eindrucksvolle Bildserie von Antonio Aragón Renuncio. Was ein fester Wille, der seinen Träumen folgt, alles erreichen kann, zeigt die Geschichte von Andrea Lanfri, dem italienischen Extremsportler, mit dem Oliver Schulz sprach. Oder die Reportage von Rike Uhlenkamp über den blinden José Diquinssone, der sich in Mosambik unermüdlich für die Rechte von Menschen mit Behinderung einsetzt.

 

Inhalt:

Artikel
Zum Konzept der „tiefen Rückversicherung“
Es gibt wenige wie sie
Emotionen in Zeiten der Pandemie
Die Zerstörung von Ganzheiten – ein Angriff auf das Leben
Das unbewusste Körperbild
Menschen mit Behinderungen und der Föderalismus
I Wanna Be Messi
Den Körper aufbauen, den Körper bewohnen – über den Körper zur Person werden
Psychomotorische Grundprinzipien als Anregung für eine aktive Pädagogik
Jenseits der Worte
„Kann ein Herz brechen?“  
Umwege und Rückversicherungsprozesse
Ein blinder Fleck: Reflexion körperlicher Selbstwahrnehmung
„Nichts ist verloren!“
Insel Sylt und inklusiver Tourismus
An der slowenischen Riviera
InBiST – Inklusive Bildung Sachsen-Anhalt
Vom Finden der eigenen Rolle
Kinderschicksale in der Märchensammlung der Gebrüder Grimm
Nachruf Theresia Haidlmayr (1955-2022)
„Folge Deinen Träumen“
Bücher zum Thema Psychomotorik